STADTENDWICKLUNG Die Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse im urbanen Raum nehmen stetig zu: Am Beispiel von Zürich zeigt sich deutlich wie wichtig eine vertiefte Analyse der Stadtentwicklung und wie notwendig eine Praxis des Widerstandes ist.
Lärm und Gestank prägten jahrzehntelang die Weststrasse in Zürich Wiedikon. Rund 20’000 Fahrzeuge donnerten jeden Tag durch das zweispurige Quartiersträsschen um zur Autobahn zu gelangen. Dann, im Sommer 2012, kehrte endlich Ruhe ein: Die Strasse wurde für den Verkehr gesperrt, die VermieterInnen konnten wieder die Fenster öffnen, ohne danach Russpartikel auf dem Sims zu haben. Doch die Ruhe trügte. Die günstigen Wohnungen, welche oft von proletarischen, ausländischen Familien bewohnt waren, konnten durch diese „Aufwertung“ nun viel teurer vermietet bzw. zu Eigentum umgebaut werden. In jedem zweiten Haus an der Weststrasse sind die MieterInnen von Kündigungen betroffen. Die zuständige Abteilung für Stadtentwicklung der Stadt Zürich bat die Hausbesitzer in einem Brief um „möglichst sozialverträgliche Kündigungen“. Die Entwicklung des Quartiers durch Verdrängung proletarischer, ausländischer Familien und einer Neubewohnung durch die oberen Schichten war Kalkül: Die Verdrängung im städtischen „Aufwertungsprozess“ ist kein unschönes Nebenprodukt einer ansonsten gutgemeinten oder wohlwollenden städteplanerischen Entwicklung, sondern deren Ziel. Denn nicht nur in der Weststrasse ist genau diese Tendenz sicht- und erfahrbar. Besonders die MieterInnen (bzw. mittlerweile oft Ex-MieterInnen) in den Kreisen 4 und 5 in Zürich – klassische ehemalige ArbeiterInnenviertel – sind besonders betroffen von steigenden Mieten oder sogar Kündigungen.
Gentrifizierung oder das Kapital macht der Stadt Druck
Die Prozesse der Aufwertung, Verdrängung und Neustrukturierung ganzer Quartiere von Zürich werden oftmals mit dem Schlagwort „Gentrifizierung“ zusammengefasst und verordnet. Unter diesem Begriff versteht man die sukzessive Veränderung einzelner Stadtgebiete wie der Kreise 4 oder 5 in Zürich. Sukzessive meint, dass die Aufwertung nicht auf einen Schlag geschieht, sondern eben in Phasen verläuft und manchmal aus strategischen Überlegungen auch in ganz subtilen Schritten vollzogen werden. So zeichnet sich der erste Schritt der Aufwertung dadurch aus, dass durch die ehemals tiefen Mieten Studierende, Kreative und Freischaffende angelockt werden, welche durch ihre Aktivitäten den Stadtteil insofern aufwerten, dass er gegen aussen sichtbar attraktiver wird: Es entstehen (bedingte) Freiräume, Orte der Begegnung, Kultur und Subkultur. Was von sich geht, ist eigentlich eine Reurbanisierung, also eine erneute Verstädterung von ehemals proletarischen Gebieten. Die Urbanisierung hat zur Folge, dass die Attraktivität des Viertels steigt und einen Andrang auf Wohn- und Kulturraum entsteht. Brav nach der kapitalistischen Logik folgend riechen auch Hauseigentümer den Trend und erhöhen im Sinne der Profitmaximierung die Mieten. Dem folgt eine Abwanderung der ursprünglichen, proletarischen Bewohnerschaft, da sich diese oftmals die erhöhten Mietzinse nicht mehr leisten können. In einem weiteren Schritt erfolgt der Hype der Investoren auf ein Stadtgebiet: Ganze Häuserblocks werden abgerissen, es folgen Neubauten die Platz für exklusives Wohnen im Stadtzentrum oder ein hippes Büro an zentraler Lage bieten. So wandelt sich nicht nur der Charakter eines Quartiers, sondern eben auch dessen Bevölkerungsstruktur. Jene, welche abwandern müssen, ziehen an den Stadtrand, wo noch günstigerer Wohnraum zu finden ist.
Der oben beschriebene Prozess lässt sich wunderbar am Beispiel der Langstrasse in Zürich aufzeigen. Die Langstrasse und der Kreis 4 waren ehemals berüchtigt für das Milieu, die Drogen, die hohe Kriminalität und für all das Besondere, das „man sonst so nicht zu Gesicht bekommt“. Vor ein paar Jahren fanden vermehrt kreative und alternative Projekte ihren Eingang im Viertel und leitete so einen Aufwertungsprozess ein, der darin endet, dass nun via Europaallee eine Brücke geschlagen wird zwischen Kreis 1 und dem Kreis 4. Dies zeigt offensichtlich, dass Stadtentwicklung eben nicht bedeutet, die Stadt im Sinne ihrer BewohnerInnen zu verändern, sondern dass hinter der Gentrifizierung ganz klar der Druck des Kapitals steht, welches sich neue Orte sucht.
Zwischennutzung – Kampfwort der Kapitalinteressen
Ein weiteres Beispiel für die strategische Profitmaximierung in der Städteplanung sind die sogenannten Zwischennutzungen. Während der Planungsphase für grosse, überteuerte Wohn- oder Büroüberbauungen werden so durch befristete Verträge noch die letzten möglichen Franken aus den bald weichenden Objekten herausgepresst. Dies bietet der Stadt ausserdem die Möglichkeit, auf sozialer Ebene zu argumentieren. Dass es nicht darum geht, eine Liegenschaft nicht leer stehen zu lassen, während vielerorts die Mieten explodieren, sondern sich ein paar weitere Monate Einnahmen durch Mieten zu sichern, wird so optimal verschleiert. Ausserdem werden Zwischennutzungen immer öfters als Argument benutzt, um besetzte Liegenschaften zu räumen. So werden praktisch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Wohnraum, welcher bisher keinen Profit mehr erzeugt hatte und zudem als „unkontrollierbarer“ Raum galt wird unter dem Deckmantel von Wohnraumbeschaffung in gewinnbringenden Boden umgewandelt.
Binz blibt Binz!
Am Beispiel der Binz, einem seit 2006 besetzten Areal im Zürcher Kreis 3, zeigt sich aktuell, dass sich gegen die Strategie der Städteplaner und Immobilienspekulanten auch 2013 noch Widerstand regt: Auf dem Areal des Binz-Squats, welches von mehr als 50 Personen bewohnt und belebt und von etlichen Externen als Werkstatt, Boxtrainingsraum, Konzertraum, Siebdruckwerkstatt, Treffpunkt, Veloflicke und vieles mehr genutzt wird, sollen nämlich schon bald Studios für Pflegepersonal des Unispitals Zürich und sog. „Student-Boxes“ entstehen. Während die 180 Studios für das Spitalpersonal in der Ausschreibung um das Grundstück, welche am Ende die linke Pensionskasse „Stiftung Abendrot“ gewann, schon vorgegeben waren, stammt die Idee der „Student-Boxes“ von keinem anderen als Werner Hofmann, Unternehmer, Immobilienstratege, SVP-Mitglied und Vermieter des ehemals besetzten Atlantis-Hotels, welches er kurzerhand für Studenten zur Zwischennutzung umfunktionierte. Das Verwaltungsgericht entschied allerdings 2012, dass die Studentenstudios eigentlich illegal seien, weil das Gebäude einer ausländischen Firma gehört. Kein Problem für Werner Hofmann: Die Studenten können bestenfalls schon bald aufs Binz-Areal umsiedeln.
Das durchstrukturierte Programm seiner „Student-Boxes“-Idee beinhaltet eine 27-Punkte lange Hausordnung, die eher an die eines Gefängnisses erinner t- Portier und Türschliessung um 22.00 Uhr inklusive. Die „linke“ Pensionskasse Abendrot rechtfertigt ihr Mitmischen im Binz-Projekt durch die Notwendigkeit, die krisenbedingten Löcher in der Stiftungskasse auszugleichen. Und schliesslich ist der Bau von Studentenstudios immer noch nachhaltig. Dass dabei ein bisschen kultureller Freiraum verschwindet, scheint dann vertretbar zu sein.
Die BewohnerInnen der Binz erklärten ihr Areal im Juni 2012 zur autonomen Zone. Zur Zone also, wo gesellschaftliches Normativdenken und eingepferchtes Kaninchenstallwohnen mit seitenlangen Hausordnungen der Kollektivität, der stetigen Veränderung und Weiterentwicklung, der Initiative und der Eigenverantwortung gewichen sind. Zur Zone, wo jeder und jede ganz seiner Individualität entsprechend gemeinsam mit anderen Projekte und Ideen verwirklichen kann. Möglichkeiten, die ansonsten im Rahmen der Urbanisierung und der kapitalistischen Verwertungslogik nicht mehr gegeben sind. Den Dezember des letzten Jahres riefen die BewohnerInnen des Binz-Squats zum Aktionsmonat aus. An jedem Tag des Monats fanden mehrere spektakuläre, kuriose, kreative Solidaritätsaktionen statt. Noch jetzt wehen aus vielen Fenstern und von vielen Dächern in Zürich Fahnen mit dem eigens kreierten Binz-Wappen.
Vor Kurzem wurde das Räumungsdatum der Üetlibergstrasse 111 auf den 31. Mai 2013 festgelegt. Aktuell läuft die zweite Runde des Architekturwettbewerbs. Es besteht weder ein fertiges Projekt noch eine Baubewilligung. Dennoch wurde nach vielen Verschiebungen der Baubeginntermin mittlerweile auf Herbst 2014 angesetzt. Wird die Binz also wirklich im Juni geräumt, wäre mit einer Brachfläche von mehr als einem Jahr zu rechnen. Dies sind Gründe genug, um gegen die bevorstehende Räumung der Binz ordentlich Widerstand zu zeigen!
Stadtentwicklung bedeutet Bedingungen schaffen
Brachflächen sind der Stadt und ihren Strategen lieber als Räume, die sie nicht kontrollieren und überwachen können. Denn Aufstandsbekämpfung und Repression stehen mit der Planung von Städten in einem engen Zusammenhang: „Dunkle Gassen“ und unüberschaubare Quartiere möchten möglichst vermieden werden. So bedeutet Stadtentwicklung und Aufwertung eben nicht nur die Organisierung von öffentlichem und privatem Raum, sondern auch die geplante Strukturierung von Möglichkeiten und Nichtmöglichkeiten. Mit welcher Strategie gebaut wird, entscheidet schlussendlich darüber, in welcher Vielfalt und mit welchen Bedingungen die Stadtbewohner ihre Stadt auch nutzen können. Dass das Kapital und die damit verbundene Verteidigung der Kapitalinteressen durch Repression auch in der Städteplanung ihre Stellung einnehmen, ist klar. So ist beispielsweise der anstehende Bau des neuen Polizei- und Justizzentrums (PJZ) Mitten im Kreis 4 auch nur ein weiterer Schritt zu einem aalglatten, sauberen Stadtbild, welches weitere ausländische Grossinvestoren anlocken soll um den Status Zürichs als „Global City“ zu manifestieren. Die Suggestion von Sicherheit durch 24-Stunden Überwachung und das Ausmerzen von durchmischten Quartieren, die Verdrängung von proletarischen und ausländischen Familien durch Luxussanierungen, sind am Ende Etappen in einem perfiden kapitalistischen Projekt, welches zum Ziel hat, auf Kosten eines menschlichen Grundbedürfnisses den Profit einiger Weniger zu maximieren. Deshalb geht es beim Kampf um die Stadt nicht nur um den Kampf für günstigeren Wohnraum oder eine besser Wohnraumbeschaffung. Die Stadt ist als Ballungsraum von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Konflikten zu sehen und zeigt deutlich auf, wo und wie die Herrschenden am Hebel sind. Ihr Kapital bestimmt massgeblich über die Planung vom städtischen Lebensraum, was zur Folge hat, dass der Mehrheit der Bevölkerung die Stadt entzogen wird. Das Kapital, hungrig nach grösserem Profit, frisst sich in die Stadtstruktur und verändert diese nicht nach Interessen der ArbeiterInnen. So ist der Kampf in den Städten ein antikapitalistischer Kampf, der über Forderungen nach tieferen Mietern oder mehr Wohnraum für Studierende hinausgeht.