KLASSENKAMPF Das Kapital und Politstrategen stürzen sich auf den Stadtraum und verändern ihn zu Ungunsten der StadtbewohnerInnen. Es gilt, diesen Raum zu verteidigen – doch wie? Ein Abriss.
Die Verhältnisse in den Städten der Schweiz ermutigen nicht gerade zu einem Aufstand. Aber am Morgen nach der letzten Demonstration gegen die kapitalistische Urbanisierung am 2. März in Zürich beeindruckte die Tatsache, dass die Angriffe an den selben Plätzen stattfanden, wie die der revolutionären Aufruhr vom 17.November 1917. Der Polizeiposten in Wiedikon, damals noch an der Badenerstrasse, wurde schon vor 100 Jahren von Aufständischen angegriffen und wurde auch 2013 erneut als Ziel ausgewählt.
Es bietet sich nicht nach jedem Strassenkampf ein solcher Vergleich an, doch jede Generation von Militanten sollte sich an die Kampffelder der Vorgänger erinnern und sie für den aktuellen Kampf neu entdecken.
Erfahrungen und Konzepte
Als nach 1871 vor allem die deutsche ArbeiterInnenbewegung ihre Haupttätigkeit auf die gewerkschaftliche und parlamentarische Arbeit legte, spielte der bewaffnete Aufstand als strategisches Revolutionskonzept eine untergeordnete Rolle. Dies war teilweise auch eine Folge des gescheiterten Aufstands der Pariser Kommune. Mit der Massenstreikdebatte und dem russischen Revolutionsversuch von 1905 änderte sich dies. Die Positionen der Bolschewiki und die Revolution von 1917 rückten auch für europäische ArbeiterInnen- Parteien revolutionäre Strategieformen wieder in den Vordergrund. Die Anwendung oder Nichtanwendung von revolutionärer Gewalt und die Debatte über den bewaffneten Aufstand (letztlich die Frage der Machteroberung) führte zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der ArbeiterInnenbewegung. Diese Strategiedebatte beschleunigte den vorhandenen Spaltungsprozess zwischen reformistischer und revolutionärer Perspektive, der mit der Gründung kommunistischer Parteien endgültig vollzogen wurde.
Aus dieser Spaltung entwickelten sich letztlich auch zwei historisch erfolgreiche marxistische Revolutionskonzepte. Im bewaffneten Aufstand, der in unterschiedlichen Formen in der Pariser Kommune, in den verschiedenen Klassenkämpfen Deutschlands zu Beginn des 19. Jahrhunderts und vor allem in der Oktoberrevolution in Russland angewandt wurde, erobern die organisierten ProletarierInnen in einem relativ kurzen Prozess die Macht. Diesem «finalen» Kampf ging eine lange Phase des Aufbaus von politischer und militärischer Gegenmacht voraus. Im langandauernden Volkskrieg, ursprünglich in China entwickelt und in den verschiedensten revolutionären Prozessen im Trikont angewendet, werden die städtischen Stützpunkte der Herrschenden vor allem von BäuerInnen-Massen in einem langen revolutionären Krieg nach und nach umzingelt. Der Aufbau der revolutionären Gegenmacht vollzog sich in den befreiten Territorien. Dort wurden in allen gesellschaftlichen Bereichen revolutionäre Alternativen generiert. In aktuellen Volkskriegen in Indien und den Philippinen erkämpft und verteidigt die bäuerliche Bevölkerung diese kommunistische Gegenmacht in den befreiten ländlichen Räumen gegen die militärische Offensiven der Herrschenden und die Vertreibung durch das internationale Kapital.
Die marxistische Revolutionstheorie begründet im Allgemeinen die Notwendigkeit einer revolutionären, gewaltsamen Überwindung des Kapitalismus und formuliert im Besonderen die jeweilige revolutionäre Strategie, anhand derer dieses Ziel zu erreichen ist. Um die ökonomische, kulturelle, politische und militärische Macht des Kapitals zu brechen, steht die Machtfrage, beziehungsweise der Aufbau von realer, revolutionärer Gegenmacht, im Zentrum beider Revolutionskonzepte.
Während sich die erste Welle revolutionärer Kämpfe der ArbeiterInnenbewegung in den 1920er und 30er Jahren vor allem in Form städtischer Strassenkämpfen, Revolten und bewaffneten Aufstände abspielte, so verlagerte sich der revolutionäre Prozess zwischenzeitlich mit den langandauernden Volkskriegen in China, Vietnam und den Kolonien Afrikas in die ländlichen Gebiete des Trikont.
Stadtaufwertung: Kein Ort für den Aufstand?
Sind städtische Revolten und Aufstände zum Verschwinden verurteilt? Offensichtlich nicht, denn wir haben in den letzten Jahren eine beachtliche Zunahme urbaner Klassenkämpfe in einigen der modernsten Städte erlebt: Sei dies in Barcelona, Genua, Paris, London, Madrid, Seattle oder Athen. Strassenkampf, Aufruhr, Revolte und Aufstand sind ein universales städtisches Phänomen geworden, insbesondere auch in den Metropolen der imperialistischen Staaten. Die Gründe hierfür sind hauptsächlich sozialer und politischer Natur, doch es lohnt sich auch, _ die Merkmale der kapitalistischen Urbanisierung zu betrachten.
Die Bedeutung der Städte für die menschliche Existenz nimmt angesichts des imperialistischen Charakters des Kapitalismus und einer stetig wachsenden Weltbevölkerung laufend zu. Städte lösen den ländlichen Raum als Lebensmittelpunkt vieler Menschen ab, ein Transformationsprozess von historischer Dimension findet statt. Was immer eine Stadt noch sein mag – sie ist stets auch ein Ort, an dem sich die untersten Teile des Proletariats konzentrieren. Gleichzeitig liegt hier in den meisten Fällen auch der Konzentrationspunkt politischer und ökonomischer Macht.
Als prägende gesellschaftlich-ökonomische Veränderung der letzten Jahrzehnte kann der Übergang der industriellen Massenproduktion zur hochtechnisierten Produktion bezeichnet werden. Zeichnete sich der erste durch ein relativ hohes Lohnniveau, wenig Arbeitslose und den abfedernden Wohlfahrtstaat Mitte der 70er Jahre aus, ist die Produktion heute automatisiert und von einer verschärften, globalen Konkurrenz gekennzeichnet. Dazu kommt der Zuwachs der Bedeutung des Finanzsektors, ein fortschreitender Ausbau des Dienstleistungssektors und die Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer. Infolgedessen ergab sich ab Mitte der 90er Jahre eine Neustrukturierung des Arbeitsmarktes und damit eine Differenzierung des Proletariats und ihrer Lebensverhältnisse. Diese sind durch Massenarbeitslosigkeit, Auflösung des «normalen» Arbeitsverhältnisses und Armut charakterisiert – auch in den kurzen Phasen von Wirtschaftsaufschwung. Dies ist in der Geschichte kapitalistischer Produktionsweise neu und zeigt, dass sich das Kapital in einer ausweglosen ökonomischen Krise befindet. Langfristig dem Gesetz der sinkenden Profitrate unterworfen, besitzt das Kapital immer noch die Fähigkeit, veränderte Rahmenbedingungen der Ökonomie zu seinen Gunsten auszunützen und / oder veränderte Rahmenbedingungen herbeizuführen. Als eine dieser Rahmenbedingungen ist die sogenannte Aufwertung ganzer Stadtteile zu sehen: Boden, respektive Immobilie als Ware, soll für die Verwertung optimiert werden. Anstelle der traditionellen Immobilienhaie und Bauunternehmen sind es in den letzten Jahren in Folge der Krise vermehrt Kapitalisten aus dem Finanzmarkt, wie die UBS, die auf den Immobilien- und Wohnungsmarkt drängen.
Im Zuge der damit zusammenhängenden Vertreibung und Verarmung sowie der Abstiegsangst und dem reaktionären Einfluss der Massenmedien (die als Ursache dieser Situation die Zuwanderung, Kriminalität und Sozialschmarotzer vermitteln) kommt dem öffentlichen Raum in den Städten als Ort dieser Widersprüche grosse Bedeutung zu. Die Repressionskräfte, die laufend weitreichendere Handlungsbefugnisse für sich reklamieren, Immobilienmakler, Sicherheitsunternehmen, Zentralen multinationaler Konzerne und Ähnliche haben einen entscheidenden Einfluss auf die Überwachung und räumliche Strukturierung der Stadt – in Zürich wie sonst wo.
Aufstand neu denken
Es ist im Wesen der gesellschaftlichen Verhältnissen begründet, dass die instinktiv antikapitalistisch-revolutionären Teile des Proletariats eine zentrale Rolle in den Revolten einnehmen, welche nicht organisiert sind und darum im Klassenkampf unerfahren sind. Die Denunziation derselben als unpolitischer Pöbel greift zu kurz. Bewusstes Handeln im Sinne des revolutionären Prozesses bedeutet die Benutzung jeder Gelegenheit, um die Klassenwidersprüche zu verschärfen, respektive dieser Verschärfungen bewusst zu machen. Die Kampffront der revolutionären Linken umfasst daher das gesamte Proletariat und alle gesellschaftlichen Widerspruchsfelder, nicht bloss einen bestimmten Sektor.
Eine Theorie des bewaffneten Aufstands muss sich von der Vorstellung, dass der Kampf um die Macht in einem kurzen Ringen entschieden wird, lösen. Am Anfang des revolutionären Prozesses steht nicht der «Endkampf» sondern die Eröffnung eines umfassenden Prozesses, aus dessen Entwicklung und Aktivitäten sich die Voraussetzungen für eine revolutionäre Veränderung herausbilden. Der Aufbau von revolutionärer Gegenmacht ist als eine prinzipielle Möglichkeit auch in den Metropolen vorhanden. Der Schlüssel dieses strategischen Konzeptes ist die Etablierung eigener revolutionärer Werte, Normen, Strukturen und Organisationen, sodass der politische Weg zur Machteroberung und die gesellschaftlichen Perspektiven sichtbar zusammen fallen.