«Nun haut es uns endgültig den Nuggi raus»

In der ausserschulischen Kinderbetreuung stehen die Zeichen für einen Gesamtarbeitsvertrag gut. Doch die Betreuenden dürfen das Heft nicht aus der Hand geben.

(az) Auch der Kinderbetreuung wurde während des Covid-Lockdowns der Orden «systemrelevant» verliehen. Seitdem fragen sich die Betreuenden, wann wohl aus der Anerkennung auch reale Verbesserungen entstehen. Die Basisgruppe «Trotzphase» hat darum die Initiative ergriffen und ruft für den 26. September zu einer Demonstration in Zürich auf. Sie liegen mit dem Zeitpunkt richtig, denn es laufen im Bereich verschiedene Initiativen, die an der Basis vorbeilaufen. Um ihre Situation wirklich zu verbessern, müssen sich die Betreuenden auch gegen Vereinnahmung wehren.

Im Strudel des Marktes

Die Kindertagesstätten (Kitas) sind ein Paradebeispiel für die Widersinnigkeiten, die der Markt bei gesellschaftlich reproduktiver Arbeit wie Kinderbetreuung, medizinischer, psychischer oder sozialer Unterstützung anrichtet. Der grosse Ausbauschub der Kitas erfolgte von Anfang an in einem von überwiegend privaten AnbieterInnen dominierten Umfeld. In der Deutschschweiz stellen die meisten Kantone nur verhältnismässig wenige Anforderungen an die Betriebe, bei gleichzeitig möglichst geringer finanzieller Unterstützung. Unter diesen Vorzeichen erstaunen die Probleme, die im Arbeitsalltag von Betreuenden auftauchen, nicht im Geringsten: Zu viele Kinder zu betreuen, viel Stress und psychische Belastung, schlechte Anstellungsbedingungen, mieser Lohn und wenig Berufsperspektiven. Der Markt soll bei Arbeit, die nicht rentiert, also in erster Linie die Kosten tief halten.

Der Mangel an guten, verbindlichen Standards wird kontinuierlich von der «Trotzphase» und anderen Organisationen kritisiert. Auch dank deren politischer Basisarbeit hat sich in den letzten Jahren zunehmend Bewusstsein und Organisierung gebildet. Eine konkrete Forderung der «Trotzphase» ist ein Gesamtarbeitsvertrag, der gute Löhne, Anstellungs- und Ausbildungsbedingungen festlegen soll. Der Kanton Zürich wiederum legt in seinen Anforderungen weitere Grundstandards, wie beispielsweise den Betreuungsschlüssel (wie viele Kinder pro betreuender Person) oder Anforderungen an die Qualifikation der Angestellten in den Kitas fest. Zürich steht dort im Vergleich mit anderen Kantonen relativ schlecht da. Das dürfte dazu beigetragen haben, dass sich selbst der Zürcher Sozialvorsteher Raphael Golta nun grundsätzlich positiv zur Einführung eines GAV für ausserschulische Betreuung geäussert hat. Sind die Betreuenden also am Ziel angelangt?

Verordnete GAVs

Der Kanton Waadt hat schon seit Anfang 2019 einen Gesamtarbeitsvertrag. Dort hat der mehrheitlich sozialdemokratisch geprägte Regierungsrat GAV-Verhandlungen angestossen und Gewerkschaften und Kita-Verbände an einen Tisch gesetzt. Dieses Modell gilt nun auch in der Deutschschweiz als Vorbild für sozialdemokratische Kräfte in den Gewerkschaftsspitzen und Regierungen. Eine ganze Reihe von politischen Vorstössen in den Parlamenten befassen sich in jüngerer Vergangenheit mit den Arbeits- und Betreuungsbedingungen in den Kitas.

Nun ist es einerseits erfreulich, dass die Probleme erkannt werden, doch laufen die Betreuenden Gefahr, dass über ihren Kopf hinweg «Verbesserungen» eingeführt werden, die nicht oder nur ungenügend in ihrem Alltag ankommen. Noch wiegelt Regierungsrätin Silvia Steiner die aufbegehrenden Angestellten wie seit Jahren mit fadenscheinigen Argumenten ab. Das erstaunt nicht weiter, denn es geht bei den Verbesserungen um sehr viel Geld und die politische Allianz aus reaktionären und neoliberalen Kräften hat den Kita-Ausbau bis jetzt in marktförmige Bahnen lenken und die Kosten möglichst tief halten können.

Wenn die sozialdemokratischen Spitzen nun GAV-Verhandlungen staatlich vorschreiben wollen, werden sie sich schliesslich auf einen Kompromiss mit den knappen Kassen und denjenigen einlassen, die zurzeit auch die Minimallösung im Vaterschaftsurlaub bekämpfen. Die Kita-Betreibenden hingegen sind auf mehr Ressourcen aus, werden in GAV-Verhandlungen ihre eigenen Interessen vertreten und Lohnkosten tief halten wollen. Ein formell verordneter GAV droht deshalb ein schlechter GAV zu werden und dem politischen Elan, der sich in den letzten Jahren im Widerstand der Kinderbetreuenden aufgebaut hat, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die einzige Kraft, die das verhindern kann, sind die Betreuenden an der Basis. Durch ihr Engagement sind die Dinge im Kinderbetreuungsbereich erst in Bewegung geraten, nur durch ihren kontinuierlichen Kampf werden sich gute Arbeitsbedingungen durchsetzen

aus: aufbau 102