Communiqué zum „Bring Your Noise“-Prozess

Heute Morgen haben sich trotz früher Stunde über 70 Menschen vor dem Bezirksgericht Winterthur versammelt, um den Angeklagten im Pilotprozess von bring Your Noise zu unterstützen und sich darüber hinaus mit allen von Repression Betroffenen solidarisch zu zeigen. Begleitet wurde dies von grossem Medieninteresse.
Unterstrichen wurden die weitreichende Bedeutung und der politische Charakter des Prozesses durch ein grosses Polizeiaufgebot rund um das Bezirksgericht und in der Altstadt, die flächendeckende, präventive Videoüberwachung des Bezirksgerichts und der Umgebung über drei Tage hinweg.
Der Gerichtssaal wurde mit Journalisten und Zivis gefüllt, während die solidarischen Menschen am Eingang schikaniert wurden und weniger als zehn Personen ins Gebäude eingelassen wurden. Der Angeklagte wurde beim Verlesen seines Schlusswortes nach kürzester Zeit vom Richter unterbrochen.
Dieses Verhalten der Behörden zeigt deutlich, dass sowohl die erneute Thematisierung der politischen Inhalte als auch die kollektive Solidarität von den Herrschenden als Bedrohung wahrgenommen wird.

 

Zum Urteil:
Der Strafbefehl des Stadtrichteramtes wegen “Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration” wurde durch das Bezirksgericht bei tieferer Geldstrafe bestätigt.
Dies ist ein typisches Beispiel für ein politisch motiviertes Urteil: während die Busse zwar ein wenig heruntergesetzt wurde, wurden dem Angeklagten zusätzliche Gerichtskosten auferlegt, so dass der Versuch, sich gegen die Repression zu wehren ihn teurer zu stehen kommt als die Hinnahme des ursprünglichen Strafbefehls. Dies ist ein klarer Versuch, Widerstand über eine finanzielle Ebene abzuschrecken.
Die Bestätigung des Strafbefehls wegen “unbewilligter Demonstration” hat jedoch auch eine über den Einzelfall hinausgehende, weitreichende Bedeutung für jede Form von Bewegung und Aufenthalt im Öffentlichen Raum: Es ist die richterliche Legitimierung von heimlicher Videoüberwachung und nachträglicher Identifikation von willkürlich ausgesuchten Personengruppen. Das bedeutet die Gefahr der potenziellen, jederzeit möglichen, unsichtbaren Kriminalisierung von Menschen im Öffentlichen Raum.

Nichtsdestotrotz zeigen die riesige Solidarität und der anschliessende Spaziergang vom Bezirksgericht in den Oberen Graben, dass wir uns auch weiterhin – und jetzt erst recht! – nicht davon abhalten lassen, den Öffentlichen Raum als Ort der politischen Auseinandersetzung zu verteidigen.

In diesem Sinne rufen wir im Hinblick auf den politischen Prozess wegen „StandortFUCKtor“ schon heute dazu auf, die Angriffe der Klassenjustiz zurückzuschlagen und der Stadtaufwertung den Prozess zu machen!

Wem ghört d Stadt? D Stadt ghört ois!

 

Prozesserklärung

Demos – Fotos – Strafbefehle: Pilotprozess zu „Bring your noise“

Den öffentlichen Raum als Ort der politischen Auseinandersetzung verteidigen!

Im letzten Jahr fanden in Winterthur verschiedene Aktionen gegen die aktuelle Stadtentwicklungspolitik statt. Nach der von der Polizei äusserst brutal verhinderten Tanzdemo „StandortFUCKtor“ am 21. September fand am 19. Oktober die Kundgebung „Bring Your Noise“ im Oberen Graben statt. Diese Aktion richtete sich sowohl gegen die Stadtaufwertung von oben als auch gegen die massive Polizeigewalt und die scheinheiligen Spaltungsversuche der Stadtregierung.

Im Gegensatz zum riesigen Polizeiaufgebot bei „StandortFUCKtor“ hielt sich die Obrigkeit bei „Bring Your Noise“ abgesehen von einigen ZivilpolizistInnen im Hintergrund und war weder sichtbar präsent, noch gab es irgendwelche Versuche, die Demo durch die Innenstadt zu verhindern. Dieser scheinbare Widerspruch zur Repression bei „StandortFUCKtor“ löste sich einige Monate später auf, als mindestens zwanzig TeilnehmerInnen der Kundgebung Vorladungen und Strafbefehle wegen „Teilnahme an einer unbewilligten Demo“ erhielten.

Ein nur scheinbarer Widerspruch deshalb, weil sich die Zurückhaltung der Polizei bloss als weitere Facette derselben Repression zeigte, die schon bei „StandortFUCKtor“ nur ein Ziel vor Augen hatte: Die Politisierung und die Wiederaneignung des öffentlichen Raumes durch die unzufriedenen Menschen zu verhindern.

Durch Aktionen im öffentlichen Raum versuchen wir, uns der Kommerzialisierung und Privatisierung dieser Orte entgegenzustellen und den Widerstand gegen eine Stadtentwicklung zu organisieren, welche den Interessen von Macht und Kapital dient. In der kapitalistischen Wirtschaftsordnung ist die Verwertung aller Ressourcen zwingend notwendig, um die Profite weiter zu steigern und konkurrenzfähig zu bleiben. Die daraus folgende Kommerzialisierung urbaner Räume macht dabei nicht bei Shopping-Malls und der Entwicklung von „Trendquartieren“ halt, sondern breitet sich in alle Bereiche des öffentlichen Raumes aus. Sei es durch omnipräsente Werbetafeln, die Vermarktung einer „sauberen“ und „ordentlichen“ Innenstadt als Standortfaktor für den Wirtschaftsstandort oder durch die Immobilienspekulation, welche immer mehr Wohnraum für viele unbezahlbar macht.

Um diese Entwicklung ungestört vorantreiben zu können, muss natürlich jeder Widerstand und jede Störung von „Ruhe und Ordnung“ bekämpft werden. So werden Randständige, Jugendliche, MigrantInnen und alle, welche das Stadtbild stören kurzerhand aus der Innenstadt weggewiesen. Der öffentliche Raum wird immer lückenloser überwacht, jegliche Form des unbewilligten Protestes und Widerstandes eingekesselt, abfotografiert und gebüsst. Die Nutzung des öffentlichen Raums durch die BewohnerInnen der Stadt wird nur geduldet, wenn sie kommerziell verwertbar ist oder den Interessen der Herrschenden dient, alles andere wird marginalisiert oder gleich kriminalisiert.

Für uns ist der öffentliche Raum der Ort, an welchem wir uns konkret im Kollektiv organisieren können, wo wir im Widerstand gegen die herrschenden Bedingungen gemeinsam Erfahrungen sammeln können. Gesellschaftliche Widersprüche werden sicht- und fassbar und die Kritik an den Zuständen kann vermittelt werden. Im Austausch mit Anderen können wir neue Ideen, Aktionsformen und Handlungsmöglichkeiten entwickeln und die Vereinzelung, der wir im Alltag ausgesetzt sind durchbrechen. Der öffentliche Raum ist der Ort, an dem die verschiedenen Kämpfe auf der Strasse zusammenkommen und gemeinsam eine Perspektive für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung entwickeln können.

Deshalb setzen wir den sexistischen Werbeplakaten, der rassistischen Parteipropaganda und der immer stärkeren Überwachung und Reglementierung des öffentlichen Raums unsere Formen der Ästhetik und der politischen Agitation sowie unsere kämpferischen, selbstbestimmten Protestkundgebungen und Aktionen entgegen.

Wir werden den öffentlichen Raum weiterhin als Ort der politischen Auseinandersetzung und des kollektiven Handelns verteidigen und uns von der Repressionsmaschinerie des Staates weder einschüchtern noch vereinzeln lassen!

In diesem Sinne rufen wir im Hinblick auf den politischen Prozess wegen „StandortFUCKtor“ schon heute dazu auf, die Angriffe der Klassenjustiz zurückzuschlagen und der Stadtaufwertung den Prozess zu machen!

Wem ghört d’Stadt? D’Stadt ghört eus!

Eusi Stadt, eusi Quartier – weg mit dä Yuppies, weg mit dä Schmier!