Türkei schickt Söldnertruppen ins Nachbarland. Al-Nusra-Front zum Kampf gegen Regierungseinheiten verlegt
Von der Türkei geförderte Söldnertruppen sind am Montag nachmittag über den Grenzübergang Bab Al-Salameh in die Stadt Azaz im Norden Syriens einmarschiert. Es handelt sich offenbar um den ersten Schritt zur Schaffung einer Flugverbots- und Pufferzone westlich des Euphrat, auf die sich Ankara mit der US-Regierung geeinigt hatte. 600 Mitglieder der gegen die syrischen Regierungstruppen kämpfenden »Freien Syrischen Armee« (FSA), unter die sich türkische Spezialkräfte gemischt hatten, rückten in 40 mit türkischen Fahnen beflaggten Bussen und schwerbewaffneten Pritschenwagen in die Dörfer Kefferan und Delhan ein. Das meldete die kurdische Agentur Firat News unter Berufung auf Beobachter vor Ort. Die FSA-Kämpfer gehören den Brigaden »Sultan Murat« und »Fatih Sultan Mehmet« an, die aus syrischen Turkmenen bestehen, die unter Aufsicht des türkischen Geheimdienstes MIT militärisch ausgebildet und bewaffnet wurden.
Zuvor hatte am Montag die zum Al-Qaida-Netzwerk gehörende Al-Nusra-Front ihren Rückzug aus dem Grenzgebiet im Norden von Aleppo angekündigt, um in anderen Landesteilen gegen syrische Regierungstruppen und den IS zu kämpfen. Ein Sprecher der Dschihadistenorganisation begründete den Rückzug damit, aus religiösen und politischen Erwägungen nicht Teil einer von der Türkei und den USA unterstützten Militäroperation sein zu wollen. Die Al-Nusra-Kämpfer zogen sich in die Stadt Idlib zurück, die im Mai von einer um die Islamistentruppe gebildeten »Armee der Eroberer« eingenommen worden war. Da gleichzeitig Kämpfer der »Fatih Sultan Mehmet Brigade« Idlib in Richtung Azaz verließen, scheint es sich in Wahrheit um eine Absprache mit der Türkei gehandelt zu haben, um eine zu offensichtliche Kooperation mit der von den USA auf ihrer Terrorliste geführten Al-Nusra-Front bei der Bildung der Pufferzone zu vermeiden.
Wie gut das Verhältnis der Türkei zum syrischen Al-Qaida-Ableger in Wahrheit ist, zeigt auch die Auslieferung von sechs Mitgliedern der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG an die Al-Nusra-Front durch türkische Behörden. Die in der Türkei ärztlich versorgten YPG-Mitglieder waren am 25. Juli bei einer Razzia in einem Gästehaus der Lehrergewerkschaft Egitim Sen in Ankara festgenommen worden. Ein Innenstaatssekretär habe die Überstellung der Männer an die als Frontorganisation für Al-Nusra dienende Miliz Ahrah Al-Sham am Grenzübergang Bab Al-Hawa offen eingestanden, erklärte der Vizefraktionsvorsitzende der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), Idris Baluken, am Montag. Die HDP spricht bezüglich der Auslieferung von einem Kriegsverbrechen.
Die Pufferzone im Norden Syriens soll ein Aufmarschgebiet für sogenannte »gemäßigte Rebellen« – gemeint sind dschihadistische Verbände wie Ahrar Al-Sham sowie turkmenische Milizen – gegen syrische Regierungstruppen werden. Während für die US-Regierung vorgeblich die Zurückdrängung des sogenannten »Islamischen Staates« (IS) Priorität hat, verbindet die Türkei mit der Pufferzone die Absicht, ein weiteres Vordringen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und die Schaffung eines Korridors zwischen den Selbstverwaltungskantonen Kobani und Afrin zu verhindern.
Als Bodentruppe zur Einnahme der bislang noch über weite Strecken vom IS kontrollierten Zone soll nach Informationen, die die Tageszeitung Hürriyet Daily News Ende Juli von einem namentlich nicht genannten Regierungsvertreter erhielt, eine 5.000 Mann starke Truppe aus syrischen Turkmenen aufgebaut werden. Offenbar handelt es sich mehrheitlich um Flüchtlinge aus Syrien, die in der Türkei rekrutiert und ausgebildet wurden. Behauptungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, wonach mehrere im letzten Jahr von der Polizei auf dem Weg nach Syrien gestoppte LKW, die im Auftrag des türkischen Geheimdienstes Munition transportierten, »Hilfsgüter für Turkmenen« enthielten, erscheinen so in einem neuen Licht. Da sich in der als Pufferzone geplanten Region zwischen Jarablus und Azaz nur eine Handvoll turkmenischer, aber 300 kurdische Dörfer befinden, befürchten die Kurden eine Veränderung der demographischen Struktur der Region durch die turkmenischen Söldner.
Auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik bei Adana bereiten sich die USA unterdessen auf eine Luftoffensive gegen den IS in Syrien vor. Bislang ist bereits ein Vorauskommando von sechs F-16-Jagdflugzeugen und zwei schweren Transportflugzeugen der US-Luftwaffe eingetroffen. In der vergangenen Woche wurden zudem bereits von Incirlik aus Drohnen-Angriffe auf IS-Stellungen geflogen.
Nick Brauns / Junge Welt vom 12. August 2015