Alles falsch gemacht: LehrerInnen fallen durch

BILDUNGSPROTEST Panische Angst vor Kontrollverlust. LehrerInnenverbände sagen Kundgebung zum «Tag der Bildung» ab. SchülerInnen und StudentInnen mobilisieren weiter.

(az) Mit einer gross inszenierten Kampagne hat ein Komitee «Tag der Bildung» zu einer Grosskundgebung auf den 13. Januar 2016 aufgerufen. Die politisch breit abgestützte und von Zürcher LehrerInnen-, Eltern- und Schulverbänden initiierte Kampagne gegen die Sparmassnahmen des kantonalen Regierungsrates im Bildungswesen wird begleitet von einer Veranstaltungsreihe an den Schulen und einem Manifest. Auch von der Bildungsbasis wurde der Aufruf wohlwollend aufgenommen. Ein Aktionsbündnis «Kämpfen für Bildung» – eine Selbstorganisation von StudentInnen, SchülerInnen und VertreterInnen des akademischen Mittelbaus – unterstützt die Mobilisierung praktisch und ruft seinerseits zusätzlich zu einer kämpferischeren inhaltlichen und praktischen Stossrichtung auf. So bemängelt das Aktionsbündnis inhaltlich, dass das Komitee lediglich mit «Statuserhalt» und in einer Standortlogik argumentiert und damit die Rolle von Sparmassnahmen nicht im Kontext kapitalistischer Ordnung kritisiert. Praktisch ruft das Aktionsbündnis – ganz im Sinne des Mottos «Kämpfen für Bildung» – zu einer Demonstration nach der Kundgebung und zu vielfältigen Aktionen auf. Es verweist dabei auf praktische Erfahrungen, die im Kampf gegen Studienerhöhungen an der Universität gemacht wurden. So konnten 2003 Studienerhöhungen durch Streiks abgewendet werden.

Lektionen nicht gelernt

Die Ausgangslage für einen effektiven Kampf gegen Sparmassnahmen waren also besser als sonst. Denn die Beteiligung von Selbstorganisationen der SchülerInnen und StudentInnen hat der Kampagne zu einer nötigen substantiellen Basis verholfen. Das Komitee «Tag der Bildung» hat zwar einiges an Ressourcen für den Tag aufgeworfen und schaffte es verschiedene politische Akteure anzusprechen. Es blieb jedoch eine von oben dirigierte leblose Kampagne, die vor allem aber an den eigentlichen Betroffenen vorbei organisiert wurde. Wenn auch ein Vertreter der SchülerInnen-Organisation (SO) unter dem Komitee firmiert, so ist der Einfluss von SchülerInnen nicht spürbar. So erstaunt es nicht, dass die Facebook-Gruppe des Aktionskomitees mehr Zustimmung erhielt als die des Komitees. Facebook Aktivitäten sagen natürlich nichts über reale Kämpfe aus, doch zeigt es zumindest, dass die Herren und Damen Rektoren und LehrerInnen an den Bedürfnissen der Jugend vorbei politisieren.

Mit der Beteiligung des Aktionsbündnisses «Kämpfen für Bildung» hat die Chance bestanden, das Desaster des «Tag der Bildung» vom 2003 zu verhindern. Auch dort hat die von oben dirigierte Kampagne gegen das Sparprogramm San04 zwar immerhin 10‘000 Leute auf die Strasse mobilisiert. Doch das Ausbleiben von offensiveren Kampfformen liess alle Forderungen im Nichts verhallen. Ein Jahr nach dem Protest stellten die Mittelschulen lapidar fest, dass 359 Vollzeitstellen bei den Volksschulen und 1000 Lektionen bei den Mittelschulen gestrichen wurden. Die Lektionen haben die RektorInnen und LehrerInnen daraus aber nicht gelernt. Dies obwohl sie durchaus verstanden haben, dass der Mobilisierungserfolg der Einbindung der «unmittelbar Betroffenen des Bildungsabbaus», nämlich den Jugendlichen, geschuldet ist. So reflektiert die Mittelschulzeitschrift impuls: «Der grosse Erfolg bei der Mobilisierung der Massen, aber auch die Spritzigkeit, die fordernde Frechheit und Fröhlichkeit des Tages ist wesentlich ihr Verdienst.» Das Komitee urteilt heute aber anders: Im aktuellen Zeitgeist von 2016 wird aus der fordernden Frechheit jedoch ein «Missbrauch», ein «Eskalationspotential», das die eigentliche positive Botschaft «ins Gegenteil verkehren» würde und das Komitee «sprachlos» machen würde. Dabei würde ein Blick in die jüngeren Bildungsproteste an der Uni Zürich zeigen, dass Protest da effektiv war, wo eben Kräfte wie das Aktionsbündnis Widerstand leisteten.

Obwohl also die Selbstorganisierung der SchülerInnen und StudentInnen in Bildungsprotesten nicht nur zur Tradition gehört, sondern deren offensives Rückgrat bildet, zeigte sich das Komitee «Tag der Bildung» von dem Aufruf des Aktionsbündnisses völlig überrascht und überfordert. Damit begann in der letzten Woche ein peinliches und hysterisches Kommunikationsdesaster, das am Montag in der Absage der Kundgebung gipfelte. Nun mobilisiert das Aktionsbündnis «Kämpfen für Bildung» alleine.

Komitee macht alles falsch, was man falsch machen kann

Das tragische Schauspiel um den «Tag der Bildung» glich dabei der Parodie eines unprofessionellen Unterrichtsverhaltens. Den Anfang nahm schon der paternalistische Aufruf des Komitees zum «Tag der Bildung». Das Aktionsbündnis kritisiert an ihm, dass die Jugendlichen bloss als Investitionsobjekte betrachtet würden und ihnen keine aktive und selbstbestimmte Rolle zugewiesen würde. Ähnlich einem autoritären Lehrer aus dem vorletzten Jahrhundert gingen die LehrerInnen-Verbände jedoch mit keinem Wort auf die inhaltliche Kritik des Aktionsbündnisses ein. Im Gegenteil. Das Komitee liess in einem Interview mit der NZZ verlauten, es hätte per Mail Kontakt mit dem Aktionsbündnis aufgenommen. Eine blanke Lüge, wie sich herausstellt. Denn das Aktionsbündnis gibt an, es hätte nie ein solches Mail empfangen. «Kontaktaufnahmen» habe es dennoch gegeben. Eine Lehrerin beispielsweise habe sich nicht zusammenreissen können und in Eigenregie dem Aktionskomitee in einem geharnischten Mail in Grossbuchstaben alle Schande an den Kopf geworfen. Da lässt sich nur erahnen, mit welchen «erzieherischen» Massnahmen diese überforderte Lehrperson im schulischen Alltag auf ihre kritischen SchülerInnen eingeht. Auch sonst entwickelte sich bei manchen LehrerInnen eine übertriebene Eigeninitiative. So gingen einzelne aktiv auf vermutete linke SchülerInnen und LehrerInnen zu, um von diesen Rechenschaft einzufordern. Und mindestens an der Kantonsschule Uster liess es sich der Rektor nicht nehmen, SchülerInnen und Eltern per Mail vor dem Aktionsbündnis zu warnen. Sogar PolitaspirantInnen der Juso fühlten sich berufen, in den Gymnasien gegen die kämpferischen Forderungen des Aktionsbündnisses zu agitieren. Und selbstverständlich sammelte sich auf der Facebook-Seite des Aktionsbündnisses vielerlei an ungehaltenen und primitiven Kommentaren.

Die offizielle öffentliche Kommunikation beinhaltete zudem alles, was man unter einem Kommunikationsdesaster fassen könnte. In den Medien warf das Komitee «Tag der Bildung» mit so vielen Diffamierungen und Distanzierungen gegen das Aktionsbündnis um sich, dass jegliche inhaltliche Diskussion über die Sparmassnahmen in den Hintergrund traten. Mit seinen Stellungnahmen erkor das Komitee die Frage um Demonstrationsbewilligungen zum Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Effektiver hätte das Komitee «Tag der Bildung» SchülerInnen und Eltern nicht demobilisieren können, als mit dem aktiven, hysterischen und öffentlichen Breittreten ihrer irrationalen Angst. Auch die RektorInnen und LehrerInnen sind offensichtlich vor dem aktuellen rechtspopulistischen Zeitgeist nicht gefeit. Entgrenzte und unbegründete Angst besetzt ihre Köpfe und verschluckt jede vernünftige und verhältnismässige Sicht. Mit der Absage der Kundgebung hat diese Entwicklung ihren Höhepunkt erreicht. Die Angst, irgendetwas könnte aus den vorgespurten Bahnen laufen, ist wohl grösser als der Wille zu einem starken Zeichen gegen Sparmassnahmen. Geschürt wird sie natürlich gerade auch an Treffen mit der zuständigen Polizei1. Die gleiche Polizei, die im letzten Monat ausser Rand und Band mit massiver Gewalt gegen eine SchülerInnen-Demonstration für Flüchtlinge vorgegangen ist. Ein Schelm, der dabei an «déformation professionelle»2 der LehrerInnen denkt, der sich in der Angst vor Kontrollverlust bei der geringsten Selbstaktivierung der SchülerInnen und die Angst vor der kleinsten Unordnung äussert.3

Sparen? Ja, aber bitte bei den anderen.

Die Angst vor dem Aktionsbündnis hat aber auch durchaus politische Gründe. Bildungsabbau mobilisiert nämlich nicht nur viele Leute, sondern auch viele Leute mit unterschiedlichsten Interessen. Das zeigt sich nur schon in der widersprüchlichen politischen Besetzung des Komitees «Tag der Bildung». Unter den Erstunterzeichnenden dominieren neben Johannes Zollinger und Gabriela Kohler-Steinhauser (EVP), Urs Schweikert (Grüne) und Samuel Haitz (Juso) die FDP-ExponentInnen Vera Lang Temperli, Lilo Lätsch oder Michael Hengartner. Die Sparmassnahmen bei der Bildung vermögen diese Kräfte zu bündeln: Sowohl das liberale als auch das sozialdemokratische Bürgertum. Und natürlich auch die betroffenen SchülerInnen.

Und das zeigte sich schon von Beginn an in einer Schwäche progressiver Kräfte. Obwohl der VPOD auch Teil des Komitees ist und das starke Rückgrat von Bildungsbewegungen traditionell die progressiven linken SchülerInnen- und StudentInnenstrukturen sind, reiht sich das Komitee «Tag für Bildung» inhaltlich in eine neoliberale Argumentation ein. Das ideologische Erbe des ehemaligen Erziehungsdirektors Ernst Buschor hat sich in den letzten 20 Jahren in den Köpfen der BildungsakteurInnen festgesetzt. Das Argument der «leeren Kasse» kritisiert schon lange niemand mehr als Klassenpolitik von oben. Und die Liberalisierung im Bildungswesen, wie sie die FDP vorantreibt, wird natürlichnicht vom mit FDP-PolitikerInnen besetzten Komitee angegriffen. Mitglieder des Komitees sind gleichzeitig in der Partei, die sich mitverantwortlich zeigt für ganze 1380 Millionen, die im kantonalen Bildungsbereich seit 2013 zusammengespart wurden. Und nochmals so viel wird bis 2018 folgen. Um was geht es dem Komitee dann?

Die vielfältigen und unterschiedlichen Interessen gegen die Sparmassnahmen in der Bildung werden vom Komitee argumentativ in ihr Gegenteil gekehrt und stehen uns am Schluss als Forderung nach Entsolidarisierung und Konkurrenz gegenüber. So soll der Kanton – ganz nach Buschor – durchaus «seine Finanzen im Griff halten» und die Bildungsinstitutionen wollen durchaus «über die Möglichkeiten der Reduktion von Ausgaben nachdenken». Gegen Sparmassnahmen ist man also im Grunde genommen nicht. Damit dürfte klar sein, dass das Komitee dem Abbau in anderen Bereichen mit Gelassenheit entgegenblickt. Die aktuellen Sparmassnahmen des «Konsolidierten Entwicklungs- und Finanzplans 2016-19» sieht von den 696 Millionen Franken, die jährlich bis 2019 eingespart werden sollen, rund die Hälfte im Gesundheitsbereich vor. Davon wird die Prämienverbilligung mit der Kürzung von jährlich 64 Millionen betroffen sein. Die Armen trifft es zusätzlich mit dem Abbau von nochmals jährlich 54 Millionen im Sozialbereich. Im Bildungsbereich geht es um jährlich 49 Millionen an Einsparungen. Wenn man in die Welt posaunt, der Kanton solle die Finanzen im Griff haben und gleichzeitig Investition «in den Zürcher Bildungsplatz» fordert, dann ist das nichts anderes als eine Kampfansage gegen den restlichen öffentlichen Dienst. Aber die Entsolidarisierung trifft nicht nur andere öffentliche Bereiche im Kanton. Das Komitee argumentiert auch wenig überraschend in der Logik der Standortkonkurrenz. So geht es ihm darum, dass der «Bildungsplatz Zürich» an der «internationalen Spitze» bleibt. Es bleibt zu hoffen, dass sich nicht alle Kräfte im Komitee freuen, wenn im Umkehrschluss in anderen Ländern Bildungsabbau betrieben wird.

Mehr Bildung heisst mehr Ungleichheit

Dass es den liberalen Bürgerlichen gelingt, den Kampf gegen Sparmassnahmen in der Bildung zu einem Teil ihrer Entsolidarisierungs-Politik zu machen, hat auch mit dem spezifischen Charakter des Bildungsbereichs zu tun. Er ist umkämpft, und zwar von Klassen.

Denn Bildung ist die spezifische Form, mit der die Eliten der hiesigen industrialisierten kapitalistischen Länder ihre Klassengesellschaft legitimieren. Zwar ist das Fundament aller kapitalistischen Gesellschaften überall gleich: Die herrschende Klasse eignet sich privat die Produktionsmittel und den ganzen gesellschaftlichen Reichtum an, den die unteren Klassen kollektiv erarbeiten. Doch je nach Gesellschaft legitimiert das Bürgertum unterschiedlich, weshalb es diese Klassengesellschaft gibt und weshalb sie nötig ist. Hier ist es die meritokratische Lüge, wonach die oberen Klassen deshalb eine gesellschaftliche Elite bilden, weil sie mehr Leistung erbringen. Auch wenn längst sämtliche Forschung dieses Legitimationsmuster als Illusion entlarvt, verteidigt die herrschende Klasse immer noch hartnäckig und wirksam ihre herrschende Ideologie. Das gelingt ihr mitunter auch, weil sie die Sozialdemokratie in das meritokratische Fahrwasser ziehen konnte.

Insbesondere in der Nachkriegszeit Europas engte sich der sozialdemokratische Horizont auf die Hoffnung auf Wachstum ein. Die Frage nach dem Klassenkampf wurde über die Hoffnung auf Wirtschaftswachstum umschifft. Solange die Wirtschaft wächst und das Unternehmertum einen kleinen Anteil des Reichtums den ArbeiterInnen wieder als Lohnerhöhung zurückgibt, konnten die ArbeiterInnen ruhig gestellt werden. Und das Bürgertum konnte gut damit leben. Ihr Anteil am Reichtum ist schliesslich viel stärker gewachsen als der der ArbeiterInnen. Die Schere zwischen Arm und Reich ist immer grösser geworden. Und wenn das wirtschaftliche Wachstum eingebrochen ist, konnten die Verluste auf die ArbeiterInnen abgewälzt werden – in den Betrieben durch die Zwangsjacke der Sozialpartnerschaft und bei öffentlichen Ausgaben z.B. durch die Bankenrettung 2008.

Das bürgerliche Denkkorsett schnürte sich auch lange Zeit um die Bildungspolitik. Die Bildungsexpansion in der Nachkriegszeit liess die bürgerliche Linke alle Debatte um soziale Ungleichheit vergessen. Analog zur Lohnsteigerung gab sich die Sozialdemokratie zufrieden damit, dass die ArbeiterInnenklasse nun mehr Chancen auf Bildung haben. Und analog zum Wirtschaftswachstum vergrösserte sich die Ungleichheit zwischen unten und oben. So wird mit erstaunlicher Hartnäckigkeit eines der zentralen Befunde auch bürgerlicher Bildungsforschung ignoriert: Mehr Bildung heisst nicht mehr Gleichheit oder mehr Gerechtigkeit. Im Gegenteil. Die Bildungsexpansion hat die Klassengesellschaft optimal reproduziert, ja sogar die Unterschiede zwischen den Klassen verschärft. Das Kapital freut es. Der Grossteil der proletarischen Bevölkerung akzeptiert, dass er eine Chance haben wird, die Privilegien der Bourgeoisie zu geniessen – also nicht gezwungen ist, zu arbeiten. Und gleichzeitig verfügen die Unternehmer über gut gebildete Arbeitskräfte ohne Privilegien. Oder anders formuliert, der gesellschaftliche Reichtum wird durch Bildung grösser und die private Aneignung durch die KapitalistInnen wird noch exklusiver.

Gut gemeint wird schlecht gemacht – im Kapitalismus

Doch diese Zeiten des zweifelhaften reformistischen Erfolgsmodells sind vorbei. Die dauerhafte ökonomische Krise führt wieder zu stärkeren Verteilungs- und also Klassenkämpfen. Und im Bildungsbereich bedeutet das den Kampf um Zugang zu Bildung. Auch proletarische Eltern setzen sich immer stärker dafür ein, ihre Kinder in Gymis und Universitäten zu platzieren. Für die schweizerische Bourgeoisie eine zwiespältige Entwicklung, setzt doch das Schweizer Kapital immer mehr auf Fachkräfte – also qualifizierte Arbeitskräfte – und doch soll an der bürgerlichen Herrschaft nicht gerüttelt werden. Denn die meritokratische Begründung und die Funktion von Bildung als soziales Selektionsinstrument werden bedroht, wenn oben immer mehr Leute von unten ankommen. Davor hat eben Ernst Buschor schon sehr unverblümt vor 20 Jahren gewarnt, nämlich von einer «Massenuniversität»4.

Die doppelte Funktion, die Bildung für den Erhalt des Kapitalismus hat – für das Kapital gute Arbeitskräfte auszubilden und für die Herrschaft Klassen zu reproduzieren – wird auch am «Tag der Bildung» sichtbar. Während die Mutterpartei FDP bei der Bildung einspart, um sie exklusiv zu halten, agitieren FDP-ExponentInnen gleichzeitig gegen diese Einsparungen, weil sie das Humankapital verminderten.

Die ganze Dynamik und das Widerstandspotential, das im «Tag der Bildung» steckt, kommt jedoch weder vom liberalen Bürgertum noch liegt es in deren Interesse. Denn so wie die Wirtschaftskrise mit Sicherheit dazu genutzt wird, die Reichen reicher und die Armen ärmer zu machen, so ist allen Lohnabhängigen klar, dass eine Abbau der Bildung sicherlich am stärksten sie treffen wird und das Bürgertum seine Wege finden wird, ihre Kinder zu bilden. Und doch gelang es den vielen LehrerInnen, Eltern und progressiven Kräften im Komitee nicht, dieses gemeinsame Interesse nach mehr Bildung in eine wirklich solidarische Forderung umsetzen. Dass es gelingt, den Widerstand gegen Bildungsabbau mit neoliberaler Ideologie zu instrumentalisieren, hat seine ganz materiellen Gründe.

Eltern wollen ihren Kindern meist die Chance für ein besseres, zumindest kein schlechteres Leben bieten. Es wäre zynisch, dies niemandem zu vergönnen. Aber es ist der unglaubliche Verdienst der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft, gute Absichten in böses Verhalten zu verkehren. Sie teilt die allen gemeinsamen guten Absichten in individuelle Absichten. Dann stellt sie die individuellen Absichten einander gegenüber. Und schon ist der individuelle Wunsch für eine bessere Zukunft des eigenen Kindes gleichzeitig der implizite Wunsch für eine schlechtere Zukunft eines anderen Kindes. Wenn in proletarischen Familien wenig Geld vorhanden ist, kann dies sogar bedeuten, dass die Geschwister bei der Finanzierung einer höheren Ausbildung in Konkurrenz zueinander gestellt werden. So zeigt sich die Bildungslandschaft als ein Schlachtfeld auf dem Familie gegen Familie für bessere Bildungschancen seiner Kinder kämpft. Wer als LehrerIn oder SozialarbeiterIn arbeitet hat mit eben diesem Mechanismus immer zu kämpfen. Sie wollen Bildung für alle, müssen gleichzeitig aber die SchülerInnen sortieren.

Umso tragischer ist es also, dass sich im Komitee «Tag der Bildung» eben die neoliberale Ideologie der Entsolidarisierung und Konkurrenz durchgesetzt hat. Es ist zu vermuten, dass der Grossteil der SchülerInnen, StudentInnen und LehrerInnen – auch innerhalb des Komitees – den Kampf für eine bessere Zukunft aller antreten wollen. Der Neoliberalismus hat jedoch das spezielle Sensorium, populäre Forderungen und ein allgemeines Interesse am besseren Leben aufzugreifen und in sein Gegenteil zu verkehren. Das ist die alltägliche kapitalistische «Instrumentalisierung» gesellschaftlicher Interessen für die private Aneignung. Die antikapitalistische Stossrichtung des Aktionsbündnisses «Kämpfen für Bildung» gibt dem Tag für Bildung inhaltlich die Möglichkeit die Forderung nach mehr Bildung vom Ballast der Verwertbarkeit und Konkurrenz zu befreien und zu einem Kampf gegen jegliche Sparmassnahmen auszuweiten.

 


 

1 Siehe Medienmitteilung des VPOD Zürich vom 11. Januar 2016.

2 «berufliche Entstellung»: Wenn LehrerInnen ihre beruflich, fachlichen Handlungsmethoden auch im privaten Alltag verwenden.

3 Es sei erwähnt, dass der VPOD Zürich eben diese Hysterie nicht teilt. Vielleicht auch, weil er ähnliche Phänomene schon von eigenen Mobilisierungen kennt: https://www.aufbau.org/index.php/care-sektor-2/582-zur-demo-qzh-steht-stillq

4 Ernst Buschor (1999): Wandel im Bildungswesen: Von der Vision zur Realpolitik.