Die biokapitalistische Reproduktionsindustrie entwickelt mit Meilenstiefeln stets neue Möglichkeiten menschlicher Reproduktion. Befruchtung, Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft werden in taylorisierten arbeitsteiligen Prozessen immer weiter zerlegt. Eine neue Stufe von Verdinglichung und Entfremdung schreitet voran.
Wir stehen vor einer Erweiterung der Begriffe der Reproduktions- und Produktionsarbeit – die enormen Fortschritte der Biotechnologie haben neue Arbeitsfelder eröffnet, die in beide Bereiche greifen: Eizell- oder Uterusspende und Leihmutterschaft, Insemination, In-Vitro-Fertilisation, Intracystoplasmatische Spermieninjektion oder Präimplantations- und Pränataldiagnostik bieten neue (Re)Produktionsmöglichkeiten. Der Wunsch von kinderlosen Paaren auf ein eigenes und gesundes Kind trifft nun auf die technischen Möglichkeiten und die Profitinteressen des Kapitals, ein solches produzieren zu lassen. Kommerzielle Medizin- und Reproduktionsunternehmen sind treibende Kräfte, damit soziale und biologische Prozesse, die als intim und privat erschienen, im Labor technisch manipulierbar sind und in die kapitalistischen Märkte einbezogen werden können. Die neuen Reproduktionsoptionen schieben die Grenzen kapitalistischer Industrie immer mehr in die Lebensproduktion hinein. Für das Kapital in der Krise, welches dringend immer neue Investitionsbereiche finden muss, ist dies eine willkommene Sphäre. Die Machtregimes der transnationalen biokapitalistischen Reproduktionsindustrie sind hochgradig verflochten und bewegen sich oft im rechtlichen Graubereich. Es ist ein Milliardengeschäft. Offizielle Statistiken sind nicht verfügbar.
Leihmutterschaft zeigt den Graben zwischen den Klassen
1978 wurde das erste Kind nach einer Zeugung per In-Vitro-Fertilisation geboren, 2014 das erste Kind nach einer Uterustransplantation. Leihmutterschaft wird seit den 1980er Jahren praktiziert, 2016 gebar eine 70-jährige Inderin per Eizellspende und In-Vitro-Fertilisation als älteste Mutter ein Kind. Die neuen Möglichkeiten scheinen das natürliche Diktat der eingeschränkten biologischen Reproduktionsmöglichkeiten von Frauen aufzuheben.In der Schweiz wird ab 1. September 2017 das revidierte Fortpflanzungsmedizingesetz, welches eine weitgehende Präimplantationsdiagnostik (PID) zulässt, umgesetzt. PID ist eine Form von vorgeburtlicher Diagnostik und wird bei der künstlichen Befruchtung angewendet. Die befruchtete Eizelle wird, bevor sie in den Körper der Frau eingepflanzt wird, untersucht. Dies ermöglicht, den Embryo auf erbliche Veranlagungen, aber auch auf genetische und chromosomale Veränderungen zu testen. Aufgrund des Ergebnisses werden gewisse Embryonen verworfen und für gut befundene für den Transfer in den Mutterleib ausgewählt.
Seit den 1990-er Jahren lassen sich Eizellen konservieren, der Kinderwunsch kann so für später aufgehoben werden. Die Frau muss sich dafür einer Hormonstimulation unterziehen, bevor ihr operativ die zuvor stimulierten Eizellen entnommen werden. Die als «social freezing» bekannte Prozedur ist schmerzhaft und aufwendig, die nötigen Medikamente haben starke Nebenwirkungen. Der Begriff kommt daher, dass dabei vor allem gut ausgebildete Frauen der Industrienationen im Fokus stehen, die ihren Kinderwunsch zugunsten anderer Interessen, etwa beruflicher Art, auf das Ende ihrer fruchtbaren Jahre verschieben können. Teilweise werden die Kosten für eine Behandlung sogar von Firmen, bei denen die Frauen angestellt sind, übernommen, z.B. bei Apple oder Facebook.
Doch nicht nur Berufsfrauen sind die Zielgruppe von Eizellfarmen: Jungen, vornehmlich weissen Studentinnen an Elite-Universitäten, wird die bezahlte Eizellspende als ideale Verdienstmöglichkeit vorgeschlagen. Auf der ideologisch-moralischen Ebene wird die Spende altruistisch als «Geschenk» an eine unfruchtbare Frau hochstilisiert. Die Industrien wenden sich auch zunehmend den unregulierten globalen Märkten zu, auf denen Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion, China, Südafrika u.a. ihre Eizellen günstig zum Kauf anbieten.
Theoretisch könnten einige dieser technischen Entwicklungen teilweise sinnvoll oder positiv genutzt werden oder allenfalls mehr Selbstbestimmung für Frauen bedeuten. Doch verhält es sich hier wie bei den meisten technischen Neuerungen: solange sie für den Kapitalismus entwickelt und genutzt werden, sind sie an Profitmaximierung auf der einen Seite und Ausbeutung auf der anderen Seite geknüpft. Das sogenannte «Recht auf ein eigenes, gesundes Kind» ist an die bürgerliche Ideologie der isolierten Kleinfamilie gebunden, an traditionelle Werte mit der altbekannten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung sowie dem Graben zwischen Süd und Nord. Die Möglichkeiten sind ungleich verteilt, armen proletarischen Frauen oder Paaren, ob hier oder dort, sind diese Möglichkeiten nicht zugänglich. Bei der Leihmutterschaft läuft die Zulieferung der notwendigen Ressourcen ausnahmslos von den armen zu den reichen Ländern und/oder von den proletarischen zu den bürgerlichen Klassen. So gingen von ca. 25.000 Babys (2014), die von indischen Leihmüttern produziert wurden, etwa die Hälfte an Kundschaft aus dem Westen. Grundsätzlich zielen wir als KommunistInnen ohnehin in eine andere Richtung: eine Welt, in der die kollektive Elternschaft organisiert wird, in denen Bluts- oder Genbande eine Nebenrolle spielen und jenen Kindern Fürsorge gegeben wird, die bereits auf der Welt sind und diese benötigen.
Zwischen Ausbeutung und Selbstermächtigung
Leihmutterschaft bedeutet das Austragen eines Kindes, das per In-Vitro-Fertilisation mit eigenen oder gespendeten Eizellen und Samen gezeugt wurde, durch eine biologisch weibliche Drittperson. Diese Methode wird kontroverser diskutiert. Die meisten Staaten verbieten die Leihmutterschaft, insbesondere in ihrer kommerziellen, nicht altruistischen Form. In der EU ist sie in 15 der 28 Mitgliedstaaten verboten (Stand: 2014): in Bulgarien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Island, Lettland, Litauen, Österreich, Portugal, Schweden, Slowenien und Ungarn. Auch in der Schweiz ist sie verboten. Spanien und Norwegen untersagen die Leihmutterschaft auf ihren Staatsgebieten, dulden jedoch Leihmutterschaften im Ausland. Auch in Indien wurde 2016 ein Verbot ausgesprochen, nachdem hier seit 2002 ein reproduktiver Markt geblüht hatte. Die Kliniken sind weiter nach Kambodscha und Nepal gezogen, denn die Nachfrage ist trotz den ethischen Vorbehalten ungebrochen.
Dieses Arbeitsverhältnis wird vertraglich festgehalten, die Leihmutter erhält für ihre Arbeit eine Entlohnung. Während der Schwangerschaft muss sie sich regelmässigen medizinischen Untersuchungen unterziehen, die letzten Monate wohnt sie oft zusammen mit anderen Leihmüttern in Zentren, wo sie auch das Kind gebärt – das anschliessend von den Auftraggebenden adoptiert wird. Jedoch akzeptiert nicht jede Nation diese Adoption, wenn im Herkunftsland der Auftraggebenden die Leihmutterschaft gesetzlich verboten ist. So kann es vorkommen, dass das Kind aus dem Land der Leihmutter nicht ausreisen kann. Auf der Geburtsurkunde sind aber die Auftraggebenden als Eltern aufgeführt, das Kind ist daher auch nicht BürgerIn des Heimatlandes der Leihmutter. Diese kafkaeske Situation ist oft schwer aufzulösen und bedeutet auch, dass die Leihmütter selbst schlechter geschützt sind.
Leihmütter sind vorwiegend Frauen aus den untersten sozialen Schichten. Sie tun es meist, um ihren eigenen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen, um die Schule zu bezahlen oder ein Dach über dem Kopf zu kaufen. Für die neunmonatige Arbeit bekommt eine indische Leihmutter zwischen 2000 und 6000 US-Dollar, je nach Prestige der Klinik und Vermittlungsagenturen und je nach Kaste/sozialer Klasse der Frau. In der Ukraine verdient eine Leihmutter ab 10.000 Euro, das Baby kostet die Auftragseltern 30.000–50.000 Euro, womit sich ein Netz von Kliniken wie beispielsweise BioTexCom, eine goldene Nase verdienen. In den USA kostet ein Designerbaby nach Bauplan mit einer Eizelle von einer schönen und schlauen Studentin der renommierten Columbia University und von einer Leihmutter ausgetragen bei CT Fertility 140.000 US-Dollar.
Die Frauen erleben diese Arbeit unterschiedlich. Meist werden sie von ihren Familien für das erzielte Einkommen respektiert, andere werden stigmatisiert, ähnlich wie die Sexarbeiterinnen. Deshalb verstecken einige Frauen diese Arbeit vor ihrem sozialen Umfeld. Die Frauen stehen in einer widersprüchlichen Situation: einerseits sind sie einem Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnis unterworfen, anderseits gibt ihnen die Möglichkeit dieser Wahl ein Stück Eigenmächtigkeit, etwas Unabhängigkeit und eigenes Geld.
Gegen die Kommerzialisierung unseres Lebens
In dem äusserst widersprüchlichen Themenkomplex über die damit verbundenen ethischen Fragen oder dem «Recht auf ein eigenes Kind» kann man sich leicht verfahren. Wir möchten uns darauf konzentrieren, die Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse darin zu analysieren. Diese menschlichen Reproduktionstechniken sind Arbeiten, welche ausschliesslich von Frauen ausgeführt werden. Wir wollen aufdecken, wie der weibliche Körper als Produktionsstätte vom Kapital vereinnahmt wird. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Leben und Arbeit. Die immer weitere Vereinnahmung unserer Körper durch das Kapital erzeugt eine neue Entfremdung zwischen Produzentinnen (Leihmüttern) und Produkt (Baby), vermittelt durch die warenförmig angebotene und bezahlte körperliche Dienstleistung der proletarischen Frauen. Es gilt, uns in diesem Bereich Kenntnisse und Bewusstsein anzueignen und die fortschreitende Kommerzialisierung unseres Körpers und unseres Lebens, die zugespitzte Verdinglichung selbst unserer intimsten Beziehungen zu bekämpfen.
Quellen: Christa Wichterich: Indische Leihmütter und die transnationale Neukonfiguration von Reproduktion; Kitchen Politics – Queerfeministische Interventionen.
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