Immer neue technische Möglichkeiten und Gesetze ermöglichen einen immer breiteren Einsatz der Bioindustrie. Eine kritische perspektivetaugliche Positionssuche ist angesagt. Keine leichte Aufgabe, der wir uns hier annähern wollen.
(fk) Die kapitalistische Kommerzialisierung von Körperteilen, -substanzen und -prozessen breitet sich immer weiter aus. Zu nennen sind hier verschiedene Verfahren humangenetischer Diagnostik oder Selektionspraktiken; Eizelltransfer und Leihgebähren; Inwertsetzung von Körperteilen und -substanzen wie Spermien, Eizellen, Embryonen, Gebärmütter und Abfallprodukten wie Nabelschnüren, Geweben u.a.
Nach der Legalisierung der Pränataldiagnostik und der In-Vitro-Fertilisation, ist in der Schweiz seit September 2017 das neue Präimplantationsdiagnostik-Gesetz in Kraft (PID). Was auf den ersten Blick vernünftig erscheinen mag, hat verschiedene Seiten, die auch kritisch hinterfragt werden müssen. Die Frage ist immer, welche Interessen stehen dahinter – insbesondere welche Klasseninteressen – und wer profitiert in welcher Weise davon.
Gegen dieses liberal revidierte Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) hatten verschiedene Behindertenorganisationen ein Referendum ergriffen. Im Juni 2016 hat das schweizer Volk dem neuen FMedG jedoch deutlich zugestimmt. Procap bspw. lehnt die Präimplantationsdiagnostik nicht grundsätzlich ab. Sie fordert aber klare Schranken bei der Anwendung, damit die Unterscheidung von «wertem» und «unwertem» Leben durch die PID nicht salonfähig wird. Procap befürchtet, dass Eltern von Kindern mit Einschränkungen zunehmend unter Druck geraten und sich rechtfertigen müssen. Die PID, sagen sie, sollte nur Paaren erlaubt sein, die Träger von schweren Erbkrankheiten sind, die sie auf ihre Nachkommen übertragen können (ca. 50-100 Fälle pro Jahr). Das Parlament hat die Anwendung der PID jedoch stark ausgeweitet. Sie soll künftig allen Paaren offenstehen, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können (bis zu 6000 Fälle pro Jahr). Das geht Procap zu weit; sie befürchtet eine fast schrankenlose Anwendung der PID, verstärkte Diskriminierungen von Menschen mit Behinderungen oder Krankheiten und weitere Normierungszwänge.
Gewordenes oder gemachtes Leben?
Ohne zweifellos auch positive technologische Fortschritte zu negieren, welche für eine perspektivische kommunistische Gesellschaft sinnvoll einzusetzen wären, geht es auch uns nach wie vor darum, gegen eine unkritische «humangenetische» Selektion und Behindertenfeindlichkeit Position zu beziehen. Denn mit den selektiven Dimensionen der Reproduktionsmedizin gehen Normierungen und Strukturen der Behindertenfeindlichkeit einher. Es ist kein Zufall, dass in Deutschland einige Eugeniker und «Rassenhygieniker» aus der Nazizeit nahtlos in den biowissenschaftlichen Betrieb wechselten und es fortan «Humangenetik» nannten. Es gilt, wo auch immer das Leben der Logik des Profits, der Logik von «verwertbarem» Leben, unterworfen wird, Widerstand zu leisten.
Eines ist für uns klar: Technologien sind nicht neutral, sondern sind immer zu einem bestimmten Zweck erfunden und eingeführt worden. Nicht erst aus ihrer Verwendung im patriarchalen Kapitalismus resultiert die Problematik vieler Technologien, sondern bereits aus ihrem patriarchal-kapitalistischen Entstehungsprozess, der sie so und nicht anders hervorgebracht hat.
Manche feministische Strömungen neigen dazu, Technik für neutral und daher eine feministische Aneignung für möglich zu halten. Als wichtigste Theoretikerin ist hier Shulamith Firestone zu nennen. Für sie bedeutet die künstliche Reproduktion die Erlösung von der weiblichen Biologie. Diese Denkweise, sich mit Hilfe der Technik von «der Natur» befreien zu wollen, können wir nicht kritiklos teilen.
Die Techniken tragen auch, anders als ein Teil queerer Feminist*innen heute gerne annimmt, nicht nur dazu bei, Elternschaft und Biologie voneinander abzulösen. Vielmehr können sie heterosexuelle Lebensformen und die Idee biologischer Elternschaft bestärken. Die Möglichkeit eines biologisch ähnlichen oder genetisch verwandten Kindes geht einher mit traditionellen Familienbildern und der damit eng verbundenen Arbeitsteilung in der Sorgearbeit. Gleichzeitig heizen diese Vorstellungen die Expansion der reproduktionstechnologischen Ökonomie an und vice-versa.
Andererseits kann es auch nicht um eine Unterscheidung von «gewordenem» und «gemachten» Leben gehen, und die kategorische Ablehnung des «gemachten», wie es von einigen Positionen propagiert wird. Diese Übersteigerung von «Natürlichkeit» zielt nicht in eine emanzipatorische, sondern eine konservative Richtung.
Eher teilen wir die von Silvia Kontos auf dem ersten Kongress «Frauen gegen Gentechnik und Reproduktionstechnik» 1986 formulierten Möglichkeit einer feministischen Nutzbarkeit der Technik, um Frauen den grösstmöglichen Entscheidungs- und Handlungsspielraum, nämlich «Reproduktionsautonomie» zu verschaffen. Dabei dachte sie aber an eine Vergesellschaftung des Reproduktionsprozesses, also gerade nicht an ein individualistisches Modell. Und dies ist der Hauptpunkt, um den es in dieser Debatte gehen muss.
Die Reproduktionsmedizinlobby
Heute argumentiert die Lobby der Reproduktionsmedizin für die Ausweitung der Gesetze mit dem «Grundrecht auf Fortpflanzung», mit dem Recht auf ein eigenes, perfektes Kind. Mit diesem Argument der individuellen reproduktiven Wahlfreiheit gewinnen sie weiter an gesellschaftlicher Zustimmung und Stärke. Aufgetischt wird uns eine völlig dekontextualisierte Vorstellung von individueller Selbstbestimmung als Freiheit der KonsumentInnen. Die Wunschliste der boomenden Bioindustrie umfasst an erster Stelle die Legalisierung von Eizelltransfers, weiter die Legalisierung des Leihgebärens sowie die Embryonenforschung. Ihr Interesse ist der Zugang zu jedem derzeit verfügbaren reproduktionsmedizinischen Verfahren. Im Zentrum stehen mit der verstärkten Kommerzialisierung von Körperteilen, -substanzen und -prozessen Möglichkeiten grosser Kapitalinvesitionen und milliardenschwerer Profite. Genaue Zahlen dazu sind keine zu finden. Doch kostet bspw. ein Designerbaby nach Bauplan der «Güteklasse A-Grade», d.h. ein Embryo der «besten genetischen Güteklasse», in der Reproduktionsklinik CT Fertility in Connecticut/USA, 140’000 Dollar. Davon bekommen Eizellspenderin und Leihmutter nur einen Bruchteil. (Bis vor Kurzem existierte noch eine Genie-Samenbank, doch die wurde offiziell vernichtet.)
Für uns ist klar, dass es nicht um die individuelle Konsumfreiheit für ein eigenes, gesundes, geniales, blauäugiges oder schwarzhaariges Kind gehen kann – eine Freiheit die sich meist nur reiche und Mittelklassen leisten können. Die Arbeit machen proletarische Frauen oder Frauen im Trikont.
Für uns geht es um eine kritische, differenzierte Positionssuche. Es geht nicht darum, Frauen oder Paare moralisch zu verurteilen, wenn sie die zunehmend routinisierte pränatale Diagnostik nutzen. Im Zentrum unserer Kritik stehen die TestproduzentInnen, die die Kriterien für die Selektion festlegen sowie die Bioindustrie und ihre Profitinteressen, welche die Arbeitsbedingungen der weiblichen Eizell-, Schwangerschafts- und Gebär-Arbeiterinnen bestimmen. Die Begriffe «Eizell-Spenderinnen» und «Leihmütter» verschleiern die dahinter stehenden Arbeitsverhältnisse und die ausbeuterischen Bedingungen, in denen diese stattfinden.
Es geht um die Kritik des Zur-Ware-Werdens, der kapitalistischen Vermarktung des Frauenkörpers und des Kindes. Zu fragen wäre ausserdem, welche Auswirkungen ein zum Projekt-gemacht und als Ware getauscht werden auf die Entwicklung und Empfindung eines Menschen hat. Weiter geht es um die Kritik an gesundheitsgefährdenden und gefährlichen Verfahren wie die Eizellabgabe oder Schwangerschaft und Geburt, die aktiv von der Fertilitätsindustrie vorangetrieben werden und um die Etablierung und Expandierung dieser neuen Arbeitsformen. Ebenfalls ist die globale Arbeitsteilung zwischen Süd und Nord, bei der gefährliche und/oder gesundheitsschädliche Arbeiten im Süden und Osten für die «1. Welt» erledigt werden, grundsätzlich zu hinterfragen.
Gesundheitsschädliche Eizellabgaben
Eizellabgaben sind – anders als Samenspenden – äusserst gesundheitsbelastend. Vor der Entnahme der Eizellen werden die Eierstöcke der «Spenderin» medikamentös stimuliert, um mehrere Eizellen gleichzeitig reifen zu lassen, die anschliessend, meist unter Narkose, durch Punktion entnommen werden. Der Hormonhaushalt der Frau wird nachhaltig gestört, die Frauen leiden an diversen unangenehmen Nebenwirkungen. Nach einer Eizellspende haben Schwangere, unabhängig von Alter, Mehrlingen und vom angewandten reproduktionsmedizinischen Verfahren, ein erhöhtes Risiko, eine hypertensive Schwangerschaftserkrankung zu entwickeln.
In der Schweiz (und Deutschland, Italien, Litauen, Norwegen und Türkei) ist die Eizellspende derzeit nicht erlaubt. Schätzungsweise 1000 Schweizerinnen fahren deshalb jedes Jahr zu einer Eizellspende ins Ausland, z.B. Frankreich, Grossbritannien, Spanien, Niederlande, Belgien, Tschechische Republik, Slowakei, Polen, Ukraine, Österreich. In einigen dieser Länder gibt es Regelungen, die eine Ausbeutung der Spenderin verhindern sollen, damit Frauen Eizellen nicht aus sozialer Not spenden.
Nach Meinung der «Fachleute» stellt dieses Verbot eine «Ungleichbehandlung der Geschlechter» dar. Der Nationalrat arbeitet deshalb zur Zeit daran, Samen- und Eispenden rechtlich gleichzusetzen. Es kann also nicht mehr allzu lange dauern, bis Eizellabgaben auch in der Schweiz legalisiert werden.
Kritische Positionssuche
Bei einer kritischen Debatte kann es kaum um ein einfaches pro oder kontra selektiver Abtreibung gehen. Diese Frage ist gebunden an die jeweiligen konkreten ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen und kann auch nur in Zusammenhang mit den damit verbundenen Sorgearbeiten analysiert werden, welche tatsächlich individualisiert sehr belastend sein können und meist in Form von unbezahlter Frauenarbeit erledigt werden müssen.
Wichtig ist vor allem, Diskriminierungen und Ausgrenzungen von Menschen mit Behinderungen und die Kürzung von Sozialgeldern zu bekämpfen sowie körperliche Normierungen und vielfältige Pathologisierungen der kapitalistischen Reproduktionsmedizin zu hinterfragen. Es bedarf der Forderung nach mehr Ressourcen und anderer Formen der vergesellschafteten Assistenz und Sorgearbeit. Einen Blickwechsel und andere behindertenpolitische Forderungen werden bspw. von einem queerfeministisch/behindertenpolitischen Bündnis in Berlin gestellt, welches alljährlich unter dem Motto «verrückt und behindert feiern» pride parades organisieren.
In der Schweiz stehen Kürzungen von Sozialhilfe auf der Tagesordnung. Gerade wurde im Kanton Bern von der SVP wieder eine Kürzung von 98.– CHF p/M für Menschen mit Beeinträchtigungen durchgesetzt. Oder es wurden in der Gemeinde Neerach den Eltern eines schwerstbehinderten Kindes die vollen Heimkosten von über 8000.– CHF p/M auferlegt (bis anhin wurden ihnen 900.– CHF p/M verrechnet).
Kollektivierung von Elternschaft und Sorgearbeit
Unsere Positionssuche muss sich an einer Perspektivetauglichkeit messen. Es gilt, die individualisierte Fixierung auf das «eigene» Kind zu verlassen und statt der ungewollten Kinderlosigkeit die gemeinsame Elternschaft zu diskutieren. Denn wenn wir vom «ich» zum «wir» kommen, ist jede künstliche Kinderproduktion und -vermarktung überflüssig ‒ unabhängig von Homo- oder Heteropartnerschaften. Kinder gibt es auf dieser Welt genug und die Kollektivierung der SorgeArbeit hat sowieso oberste Priorität für die Befreiung der proletarischen Frauen. Es gilt, andere Formen der Organisation von Sorgearbeit und des Zusammenlebens mit oder ohne Kinder zu entwickeln sowie Strategien auszuhecken, wie wir dem herrschenden Diskurs vom «eigenen» «perfekten» Kind und einer nationalstaatlich formierten, rassistischen und klassenhierarchischen Humankapitalverwertung in die Quere kommen können.
Quellen: Susanne Schultz, Kirsten Achtelik, Lisbeth Trallori
aus: aufbau 92