Schweizweit rollt seit einigen Wochen eine unberechenbare Welle von Frauenpower durch das Land. Der Schlachtruf vom Frauenstreik von 1991 – Wenn Frau will, steht Alles still! – erschallt von Neuem durch verschiedene Regionen und Städte. Auch wir machen uns bereit.
Wir erleben gerade eine Zeit ausserordentlicher Frauenbewegungen. Seit mehr als zwei Jahren findet weltweit eine öffentliche Debatte zu Sexismus in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen statt. Daraus entstanden die #metoo- und #WeTogether-Bewegungen, die bis heute aktiv sind. Immer noch werden zum Thema Womens Marches auf der Strasse organisiert, auch in Zürich.
Am 8. März 2018 wurde der weltweit grösste Frauenstreiktag organisiert. In etlichen Ländern auf verschiedenen Kontinenten wurden Millionen von Frauen, aber auch Männer aktiviert. Vorbereitungen sind im Gange, um am 8. März 2019 wieder einen solchen weltweiten Frauenstreiktag zu organisieren. In Zürich zieht die alljährliche Frauendemo zum 8. März so viele Frauen* an, wie schon lange nicht mehr. Die letzten beiden Jahre konnten rund 1500 Frauen* gezählt werden. Auch in Winterthur und Basel finden Aktionen und Demos zum 8. März statt.
Und nun soll also auch noch ein zweiter 14. Juni die Schweiz zunderobsi bringen. Grandios! (auch wenn wir den Schweizer Frauenstreik lieber mit der ganzen Welt zusammen am 8. März begangen hätten – aus dem Bezug zur proletarischen Frauengeschichte heraus und vom internationalistischen Aspekt her).
14. Juni 1991
Werfen wir einen Blick zurück: In einer relativ unbewegten Zeit wird die Idee des Frauenstreiks von vier Uhrenarbeiterinnen der Romandie geboren. Sie haben die Nase voll davon, dass ihre Löhne für tägliche Schufterei unter strenger Aufsicht monatlich zwischen 1300.- und 1800.- Franken betragen – Löhne, die nicht annähernd lebenskostendeckend sind. Besonders erzürnt sie auch, dass routinierte Arbeiterinnen weniger verdienen als angelernte junge Männer.
Die Arbeiterinnen wenden sich also mit der Idee an die Führungsgremien des SMUV (Schweizerischer Metall- und Uhrenarbeiterverband). Trotz Vorbehalten gelingt es daraufhin den Zentralsekretärinnen, mit viel Power die Streikidee im SMUV durchzuboxen und selbst den Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB davon zu überzeugen. Unglaublich in der Schweiz, dass der SGB einlenkt, trotz «Arbeitsfrieden», wenig organisierten Arbeiterinnen und wenig sonstigen begleitenden Frauen- und Klassenkämpfen.
Die Zentralsekretärinnen organisieren die Streikkoordination und die Medienarbeit. Der Stein kommt ins Rollen. Streikbroschüren, Knöpfe, Kleber, Plakate, Ballone, alles in hunterttausender Auflagen, werden produziert. Praktisch sämtliche Gewerkschaftsbüros der Schweiz beteiligen sich. 50 Streikkomitees organisieren die Arbeit, verschiedene Frauenorganisationen nehmen teil.
Es geht um die praktische Umsetzung des Gleichstellungsartikels von Frau und Mann, um die Erhöhung der Frauenlöhne, insbesondere auch jene der GrenzgängerInnen, um die Aufteilung und den Wert von Haus- und Familienarbeit, um die Anerkennung derselben in den Sozialversicherungssystemen und entsprechend höhere Renten, eine Mutterschaftsversicherung, gegen sexistische Werbung und Sexismus im Allgemeinen,
gegen Gewalt an Frauen, um mehr Frauen in Kaderpositionen, und und und. In sämtlichen Regionen der Schweiz, Städten und Dörfern, ist das Thema präsent. Zahlreiche erpresserische Drohungen seitens der Arbeitgeberverbände lassen die Frauen kalt.
Die fehlende Streiktradition macht es 1991 den Gewerkschafterinnen nicht einfach, offensiv einen ganztägigen Streik zu propagieren. Sie halten eher stundenweises Streiken, Protestpausen und kleinere Aktionen in den Betrieben realisierbar. Immerhin aber kommt eine grosse Kreativität von Protestformen ins Spiel. Der Bundesplatz in Bern wird gestürmt, der für eine Internationale Delegation zur 700-Jahr-Feier abgesperrt worden war – die Delegation muss über den Hintereingang ins Bundeshaus. Liegestühle und Streikpicknicks auf öffentlichen Plätzen, Eindringen in Betriebe mit Megafonen und Musikbands, Klappstühle für Verkäuferinnen in den Warenhäusern, Lahmlegung des Verkehrs, Frauenstreiklieder, Frauenchöre, Kulturfrauen, die sich in Szene setzen, Veranstaltungen, Happenings, Diskussionen, Aktionen in Schulen, Spitälern, Gemeindehäusern, Firmen, … Und auch einzelne Sexarbeiterinnen lassen ihre Salontüre verschlossen um dagegen zu protestieren, dass ihr Beruf nicht als solcher anerkannt ist und sie gesellschaftlich stigmatisiert werden.
Die Genossen organisieren Streikküchen und Kinderhütedienste. Und auch im Ausland ist der Anklang von Kanada bis Moskau über Australien enorm. Das ZDF filmt, die Deutsche Hausfrauengewerkschaft organisiert eine Soliaktion: 4000 von ihnen demonstrieren in Bonn. Solidaritätstelegramme aus aller Welt trudeln beim SGB ein.
Vorbereitungen zum 14. Juni 2019
Seit einigen Monaten nun thematisieren Frauen in der Schweiz den 14. Juni 2019 als zweiten schweizweiten Frauenstreiktag, da sich nichts Relevantes verbessert hat. Wiederum ausgehend von gewerkschaftlichen Frauen in der Romandie hat die Sache bereits erstaunlichen Schwung aufgenommen. Auch der SGB hat wieder seine Unterstützung zugesagt. Ein Manifest wurde verfasst und in drei Landessprachen übersetzt. In verschiedenen Städten finden unzählige Vernetzungs- und Vorbereitungstreffen sowie Veranstaltungen statt. Auch linke Gruppen und Studierende organisieren Versammlungen und Veranstaltungen. Es ist die Rede von Streiks in Betrieben, Hochschulen und Haushalten, von Aktionen, Demonstrationen, Besetzungen des öffentlichen Raums. Der VPOD wird in Zürich vorausgehend verschiedene Aktionstage in verschiedenen Bereichen organisieren.
Klar ist, dass hier verschiedene Klassen und Schichten angesprochen werden. Frauen bringen unterschiedliche klassenspezifische Interessen hinein. Vorwiegend jedoch thematisiert der 14. Juni proletarische Fraueninteressen. Es geht um Lohngleichheit, gegen Sexismus zu Hause, am Arbeitsplatz, in der Schule, um die Stagnation der gesetzlich verankerten Gleichstellung, um die kleinen Renten im Alter und als Mensch mit einer Behinderung, um Kollektivierung, Umverteilung und Vergesellschaftung der Haus- und Familienarbeit, um Reduktion der Lohn-Arbeitszeit, Freiheit der sexuellen Identität, gegen Schönheitswahn und Körpernormen, gegen sexistische und homophobe Gewalt, für die Anerkennung und Aufnahme von MitgrantInnen, das Recht auf Asyl, für eine nicht-patriarchale Erziehung und Bildung, gegen Geschlechterrollen, für weltweite Frauensolidarität, gegen Rassismus und mehr. Eine breite Palette von Themen aus dem Manifest, die wir allesamt unterschreiben können.
Unterschiede
Damals fand der Frauenstreik in einer relativ unbewegten Zeit statt. Deshalb ist es erstaunlich erstens, dass er überhaupt stattfand, zweitens, dass er ein solcher Erfolg wurde. Niemand hatte es für möglich gehalten, dass in der Schweiz, ohne nennenswerte begleitende Klassen- oder Frauenkämpfe, ein solches Potential mobilisierbar wäre. Alle waren erstaunt, dass sich in der Schweiz tatsächlich ½ Million Frauen in der einen oder anderen Form an einem Streiktag beteiligen werden. Heute befinden wir uns in einer Zeit, in der die Frauenbewegungen weltweit im Aufwind sind. Die Streikkomitees übertreffen bereits jetzt an Zahl und Vielfältigkeit jene von 1991. Doch ein entscheidender Minuspunkt ist, dass die Gewerkschaften heute in wichtigen Frauensektoren weniger gut verankert sind als damals. Sie haben in den letzten 30 Jahren stetig an Mitgliedern verloren, auch im Pflegebereich.
Verbinden wir die Kämpfe
Eine besondere Chance sehen wir in der Verbindung von Betriebskämpfen mit der politischen Widerstandsbewegung, sowie der Verbindung von Frauen- und Klassenkämpfen. Diese Möglichkeit ist nicht immer gegeben. Oft agiert die eine Seite isoliert von der anderen. Im Allgemeinen hat die politische Widerstandsbewegung wenig Bewusstsein über die Bedeutung der Klasse und ihrer Kämpfen, zieht wenig Verbindungslinien zu ihren eigenen Arbeits- und Lebenswelten, identifiziert sich wenig mit der ArbeiterInnenklasse. Wir sollten es für einmal wagen, bei unseren eigenen ArbeitskollegInnen den 14. Juni aufzuwerfen und ein mögliches Potential auszuloten, und falls vorhanden, zu aktivieren. Der 14. Juni eignet sich dafür besonders gut, da er ganz verschiedene Arbeits- und Lebensbereiche einbezieht und eine grosse gesellschaftliche Legitimation besitzt.
Die Verhältnisse ändern sich und es bewegen sich gerade mehr Menschen, vor allem proletarische Frauen. Die revolutionäre Linke sollte diese Chance nutzen, um aus ihrer Nischenpolitik rauszukommen und zu mehr gesellschaftlicher Relevanz zu kommen. Der Frauenstreik ist eine besondere Gelegenheit inmitten einer ansonsten reaktionären Entwicklung, sie kann zu einer Massenbewegung werden, die Emanzipation und Klassenkampf, Betriebskämpfe und politische Widerstandsbewegung zusammenbringt.
Und für einmal lassen sich auch die Genossen in Frauenkampf-Aktionen einbinden. Wir sollten auch dies als Chance nutzen, um einmal mehr neue Geschlechterverhältnisse mit den Genossen zu diskutieren. Und natürlich ist wünschenswert, bzw. notwendig, auch als Mann ganz konkret am 14. Juni Hand (und Kopf) anzulegen und Unterstützung zu bieten für all die Arbeiten, die sonst unbeachtet vor allem die Frauen erledigen.
Kontinuität ist gefragt
Was können wir tun, dass nach dem 14. Juni der ganze Power nicht wieder versandet, wie nach dem 14. Juni 91? Wie kann das Potential für die nötige Kontinuität der Frauenkämpfe genutzt werden? Diese Frage zu beantworten ist dringlich, wollen wir, dass Veränderungen tatsächlich stattfinden können. Ohne kontinuierlichen Druck von unten passiert nichts – im Gegenteil, es wird gerade vieles mit der reaktionären Entwicklung noch schlimmer. Ohne kontinuierliche Frauen- und Klassenkämpfe lassen sich die kapitalistisch-patriarchalen Macht- und Profitverhältnisse nicht umwerfen. Wir müssen uns also fassbar machen, damit jene, die am 14. Juni auf der Strasse aus allen Bereichen zusammenströmen, vor allem die proletarischen Frauen, uns sehen und von unserer Organisation, unseren perspektivischen Inhalten und langjährigen Erfahrungen angezogen werden.
aus aufbau 96