Vor der Pandemie waren Spitäler alle paar Tage unter Beschuss: Zu viele Betten, zu lange Verweildauer, zu ineffizient, zu teuer. Glücklicherweise war die Meinung der GesundheitsökonomInnen dem grossen Teil der Bevölkerung egal und viele Privatisierungen wurden verhindert. Doch der politische Wille der Herrschenden war eisern, mit den Fallkostenpauschalen (DRG) wurde der Sachzwang zu Kürzungen sowie Arbeitshetze in den Schweizer Spitälern Realität.
(az) Das vielleicht einzig Positive an der Pandemie ist, dass sie das Gesundheitswesen voll ins Zentrum der Aufmerksamkeit katapultiert hat und die Kritik am Abbau der letzten Jahre in aller Munde ist. Gemäss H+, dem Verband der Spitäler, wurden die Spitäler von 1970 bis 1982 ausgebaut, worauf ab 1983 wieder abgebaut wurde. Pro 100‘000 Personen gerechnet, nahm die Anzahl der Spitäler zwischen 1982 und 2015 von 7,2, auf 3,5 ab, was fast einer Halbierung entspricht. Die Zahl der Betten wurde noch stärker reduziert, von 11,9 auf 4,6. Drei Fünftel weniger Betten stehen heute also zur Verfügung als 1982. Ironischerweise sind das weniger als 1969, dem Zeitpunkt, als politisch entschieden wurde, dass ein Ausbau notwendig sei, der Staat volle Kraft in die Gesundheit der Menschen investieren soll.
Ab den 80ern übernahm der Neoliberalismus global die Macht und im Verlaufe der Jahre auch immer mehr die Köpfe. Die Spitäler wurden in der Folge marktwirtschaftlich erfasst und sollten als Feld für Privatisierungen und Investitionen eröffnet werden– Schliessungen und Abbau von Betten waren die logische Folge davon, was sich aber in der Schweiz nur schleppend und gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen liess. Eine wichtige strukturelle Voraussetzung zu dieser Entwicklung bot auch die Medizin selbst, ab den 90ern insbesondere ihre Forschung mit der radikalen Hinwendung zur evidenzbasierten Medizin (EbM). Diese methodische, einzig auf Erfolg getrimmte Zurüstung brachte die klinische Medizin in eine existentielle Abhängigkeit zur Pharmaindustrie und machte sie zunehmend zum Objekt von Profitmaximierung und Sparmassnahmen.
Ökonomische Sachzwänge erschweren den Widerstand massiv. Um das Gesundheitswesen unumkehrlich der Marktlogik zu unterwerfen, wurden 2012 die Fallkostenpauschalen (DRG) durchgesetzt, deren weitreichende Bedeutung den allermeisten nicht bewusst war. Damit hielt die Profitmaximierung und der Zwang zu Abbau und Arbeitsintensivierung auch in den Schweizer Spitälern Einzug. D.h. dass die medizinische Versorgung so organisiert wurde, dass pauschal pro Fall bezahlt wird, egal wie dieser ‘Fall’ verläuft. In der Konsequenz führen Komplikationen, chronische Krankheiten oder mehr Pflege als vorgesehen zu Defiziten. In Zürich geriet das Triemli als zu teuer unter Dauerbeschuss. Die Stadt entschied deshalb, den Busenfreund des Kapitals, André Zemp, zum Direktor der Stadtspitäler zu machen. Seine Qualifikation dafür ist nur diese: Als ehemaliger ‘Berater’ lässt er sich gerne gegen hohes Entgelt zu Gesundheitsfragen von der KPMG beraten und was die raten, wissen wir auch gratis.
Profit geht über Leichen
Die Schweiz steht nicht alleine da. Das Kapital, das nach lukrativen Investitionsmöglichkeiten sucht, kennt keine Grenzen. Es verlangt danach, überall zu investieren und das Gesundheitswesen bietet sich dafür an. Genau wie die Bildung oder der Wasser- und Strommarkt ist auch der Gesundheitsbereich noch weitgehend staatlich organisiert und könnte deshalb von Privaten übernommen werden – allerdings nur in den lukrativen Teilen, die teuren chronisch Kranken sollen in der Pflege des Staates bleiben. Ausserdem wird die Kundschaft nie fehlen. Selbst wenn sich die Kranken verschulden müssen, werden sie Dienste in Anspruch nehmen wollen – wie unglaublich zynisch und praktisch.
Grève illimitée
Wo gespart und privatisiert wurde, wurde auch immer wieder gekämpft – leider nicht nur mit Erfolg. In Spanien beispielsweise hatte das Spitalpersonal über Monate gestreikt und schliesslich aufgeben müssen. In Frankreich war die Streikbewegung (die symbolischen Charakter hat, da immer voll gearbeitet wurde) der Spitäler im März 2019 von Notaufnahmen losgetreten worden und befand sich immer noch im Wachstum, als die Pandemie das Land erfasste. Die Arbeitsbedingungen der ÄrztInnen und Pflegenden sind schon lange auf allen Ebenen untragbar. Das Spitalpersonal ist völlig überlastet und miserabel bezahlt, weshalb sich viele entschieden haben, lieber arbeitslos zu sein, als diese Arbeit zu machen. Einige Spitäler Frankreichs schlossen, weil sie kein Personal mehr hatten und schliessen mussten. Diesen Januar haben massenhaft Ärzte und Ärztinnen eine neue Aktionsform gefunden: Sie haben gekündigt und zwar nicht ihre medizinische Arbeit, sondern die Sitzungen. Sie verweigern den Dialog über Wirtschaftlichkeit und Sparmassnahmen, da ihnen ja ohnehin kein Gehör geschenkt wird.
Während der Pandemie hört die Politik nun plötzlich auf das Spitalpersonal, doch geht Abbau immer schneller als Aufbau und das strukturelle Problem von zu wenig Personal und zu wenigen Betten kostet viel und braucht Zeit. Macron verspricht vollmundig Milliarden, die Medien machen sich derweil offen über den vom Saulus zum Keynsianisten gewandelten Marktliberalen lustig. Das Spital-Personal rümpft indessen nur die Nase und kämpft weiter, denn es braucht weitaus mehr, um den Zustand in den Griff zu bekommen.
Wir hoffen auf Schadenfreude
Ein zweiter positiver Punkt der Pandemie könnte sein, dass sie Macron den Posten kosten könnte. Wir hoffen doch sehr, dass auch die kleineren Fische in der Schweiz wie Thomas Heiniger, der zu seinem eigenen Glück schon letztes Jahr abgewählt wurde und den Posten an die SVP-Hardlinerin Natalie Rickli abtrat, ins Kreuzfeuer der Kritik geraten werden. Von Herzen wünschen wir das insbesondere André Zemp, den wir uns gut als Moderator einer Kochsendung auf Tele-Züri vorstellen können. Vom Gesundheitswesen sollen die Consultants zukünftig aber die Finger lassen, sie sind das Problem, nicht die Lösung.
aus: aufbau 101