aufbau Nr. 38: Printpark ARO: Streik und proletarische Demokratie

STREIK Was hat ein Streik mit einem ArbeiterInnen-Rat zu tun? Der Rat ist das Organ der proletarischen Demokratie. Bei einem Streik stellen sich im Kleinen Fragen, welche die entwickelte Form ArbeiterInnen-Rat weit fortgeschrittener ebenfalls lösen muss.

 

(az) Der zweitägige Streik bei der Printpark ARO in Zürich erlaubt es uns, einige Züge der proletarischen Demokratie-Konzeption1 am konkreten Fall zu skizzieren. Diese Überlegungen sind weder vollständig noch vertieft, sie sollen aber zeigen, dass wir uns unsere Vorstellungen zur künftigen Gesellschaft, für die wir kämpfen, nicht aus den Fingern saugen, sondern dass der Kommunismus im Kapitalismus schon angelegt ist.

 

Ohne konstante Auseinandersetzung keine fundierten Einzelentscheide

Die Kollegen bei der Schwesterfirma Printpark Jona liessen sich viel länger vom Besitzer, Stefan Wenkebach, an der Nase herumführen. Zwei Monatslöhne blieb er ihnen schuldig, bis sie schliesslich gemeinsam die Arbeit verliessen und damit fristlos kündigten. Die Beschäftigten der Printpark ARO in Zürich traten in den Streik, als er den gewerkschaftlichen Vertrauensmann entliess und die angekündigte massive Lohnsenkung ohne Einhaltung der juristischen Formalitäten umsetzte. Die Kollegen der ARO sind nicht einfach kämpferischer als diejenigen in Jona. Sie mussten sich aber schon länger damit auseinandersetzen, ob sie die sichere Arbeitslosigkeit auf der Basis der gegenwärtigen höheren Löhne einer unsicheren Zukunft mit einem Konkursgangster und Lohndrücker vorzögen. Hintergrund des jetzigen Streik ist die Absicht von Wenkebach, die Löhne massiv zu senken, was schon dadurch für ihn unausweichlich geworden ist, weil er mit den tiefen Löhnen die jetzigen Aufträge offeriert hat. Sollte ihm das nicht gelingen, droht er mit der Schliessung der Druckerei. Vor eine ähnliche Entscheidung wurde die Belegschaft schon Mitte Juni 2004 gestellt, als Wenkebach darüber entscheiden liess, ob sie zur früheren Besitzerin Tamedia zurückkehren wollten, was gleichbedeutend war mit der Schliessung nach einem halben Jahr. Trotz grossem Druck von Wenkebach entschied sich die Belegschaft damals für die Tamedia. Da Wenkebach die Druckerei aber schon belehnt hatte, kam die Transaktion nicht zustande2.

Beide Entscheidungen musste jeder für sich treffen, sie waren aber auch kollektiv verknüpft. Es ist praktisch ausgeschlossen, dass ein Teil die tieferen Löhne akzeptiert und ein anderer Teil dagegen kämpft. Im Laufe dieses Prozesses setzten sich die Kollegen also mehrmals damit auseinander, womit kurzfristige Schwankungen und bodenlose Illusionen eliminiert wurden. So bildete sich eine klare Mehrheitsposition heraus: die Kollegen ziehen eine baldige Schliessung der Firma einem längeren Hin und Her vor.

Proletarische Demokratie bedeutet mehr als Mitentscheidung in Einzelfragen. Der Prozess einer konstanten Auseinandersetzung mit Grundsatzfragen schafft die Voraussetzung, dass Alle zu den konkreten Einzelfragen eine fundierte Entscheidung treffen können.

 

Keine Trennung von Entscheiden und Ausführen

Während der zwei Tage Streik waren die Kollegen nicht im Besitz der Druckmaschine, sondern harrten draussen in der bitteren Kälte aus und blockierten rund um die Uhr die Auslieferung derjenigen Produkte, die trotzdem von Streikbrechern (Schichtführern und Neueingestellten) hergestellt worden waren. Diese ungünstige Situation war direkte Folge davon, dass der Streik aus einer Betriebsversammlung, die ausserhalb der Firma abgehalten wurde, heraus ausgelöst wurde. Es wäre praktischer gewesen, überraschend die Maschine abzustellen und sie zu besetzen. Dazu hätte sich aber eine Schicht exponieren müssen. Trotz gemeinsamer Bereitschaft für den Streik hätte das den Einzelnen sehr viel abverlangt. Der spontane Vorschlag, den Streik unverzüglich auszulösen, war der Ausweg.

Eine Entscheidung (z. B. für einen Streik) lässt sich nicht von ihrer Umsetzung trennen. Eine Betriebs- oder Streikversammlung vereint – ebenso wie ein ArbeiterInnen-Rat – die beiden Seiten, die in der proletarischen Demokratie nicht getrennt werden.

 

Führung als Voraussetzung für Demokratie

Der nächste Punkt unserer Skizze führt oft zu Missverständnissen: Führung wird als Vorwegnahme und Ersatz der demokratischen Entscheidung aufgefasst. Dabei ist es umgekehrt. Ohne das Herausschälen von Grundfragen und Konsequenzen der anstehenden Entscheidungen ist keine Auseinandersetzung und damit auch keine fundierte Entscheidung möglich. Zur Führung gehört selbstverständlich die Darlegung der eigenen Position. Es liegt uns deshalb fern, den Gewerkschaftsfunktionären der comedia vorzuwerfen, dass sie im Streik eine Führung hatten. Ihre Darlegung der Situation vorher und ihre Bewertung als voller Erfolg nachher berührte aber die Grundfrage der anstehenden Lohnsenkung nicht, die trotz der Erfüllung aller Streikforderungen völlig ungelöst ist. Den meisten Kollegen war klar, dass das getroffene Abkommen keine Lösung ist. Zur korrekten Führung in dieser Situation hätte es gehört, den Kollegen beide Seiten (unmittelbarer Erfolg des Streiks, keine Lösung der Grundfrage) darzulegen, die Verbindung dazwischen aufzuzeigen (der Erfolg stärkt die Streikenden in der nächsten Runde, Wenkebach hat gelernt, dass er die Schichten mit den zukünftigen Streikbrechern durchmischen muss), dann die Vereinbarung zur Annahme zu empfehlen und darauf die nächsten Schritte zu planen.

 

Produktive Streikende?

Beim zehntägigen wilden Streik, der Mitte November bei der Swissmetal Boillat in Reconvilier stattfand, war die Wiedereinstellung des gefeuerten Werkdirektors eine der Hauptforderungen der Streikenden. Büezer, die einen zwar unbeliebten, aber kompetenten Chef zurück wollen? Bei der Printpark ARO gibt es eine ähnliche Situation. Die Aktivsten beim Streiken sind auch diejenigen, die im Alltag mitdenken und sich kümmern. Diese Sorge um die Produktivität ist oft ein Mittel, den Arbeitenden die Interessen der Kapitalisten unterzujubeln. Sie zeigt aber auch, dass diejenigen, die die Arbeit machen, die Kapitalisten und deren Peitsche gar nicht brauchen. Der Kapitalismus ist hierzulande soweit entwickelt, dass es eine breite Schicht von fähigen ArbeiterInnen (Gelernte und Ungelernte!) gibt, die ohne weiteres imstande wären, die Produktion auf eigene Faust aufrechtzuerhalten.


1 In der ArbeiterInnenbewegung gibt es nicht nur eine theoretische Auseinandersetzung mit der Demokratie-Frage. In der ersten russischen Revolution von 1905 entstanden die Sowjets, die Arbeiter- und Soldatenräte als parallele Machtstrukturen spontan. Sie bildeten in der Sowjetunion nach der Oktoberrevolution die Grundeinheiten des Staatsaufbaus. Was ihre genaue Bedeutung ist, ab wann und warum sie als Organe gelebter proletarischer Demokratie ausgehöhlt wurden, können wir hier nicht diskutieren.

2 Wir berichteten darüber im aufbau Nr. 36.