Repression gegen Revolutionäre in Belgien mit deutlichen Parallelen zum Berliner »mg«-Verfahren. Ein Gespräch mit Bertrand Sassoye
Nina Zeise / Junge Welt vom 10.10.08
Bertrand Sassoye ist Mitglied des Sekretariates zum Aufbau einer Roten Hilfe International und ehemaliges Mitglied der Stadtguerillagruppe Kämpfende Kommunistische Zellen CCC (Cellules Communistes Combattantes)
In Berlin findet zur Zeit ein Verfahren gegen vier Antimilitaristen statt. Ihnen wird vorgeworfen, Mitglieder in der »militanten gruppe« (mg) zu sein, die als »kriminelle Vereinigung« nach Paragraph 129 verfolgt wird. Sie selbst sind im Juni in Brüssel verhaftet worden und mit ähnlichen Beschuldigungen konfrontiert …
… und auch mit einem ähnlichen Konstrukt. Dahinter steht die immer breitere Anwendung des »Vereinigungsdeliktes« durch die Klassenjustiz. Man wird verfolgt, weil man jemanden kennt. Man gerät ins Visier, wenn man auch nur zum Teil dessen Ideal teile und Interesse an seinem Engagement gezeigt hat. Man wird verfolgt, als ob man die ganzen Aktivitäten dieser Person befürwortet.
Warum wurden Sie im Juni in Belgien verhaftet?
Die Geschichte beginnt in Itakien. Dort hatte die Polizei im Februar 2007 viele Aktivisten im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen die politisch-militärische Kommunistische Partei (Partito Comunista politico-militare, PC p-m) verhaftet. Im Gemüsegarten eines mutmaßlichen Mitglieds des PC p-m wurden Fotos von vier belgischen Aktivisten gefunden. Die Bilder enthielten biometrische Daten und waren in der Nähe anderer Behälter vergraben, in denen eine Waffe und Fälschungsmaterial waren. Die Information wurden an die belgische Polizei weitergegeben, und diese spionierte die vier Aktivisten und ihre Umgebung intensiv aus. Telefone wurden abgehört, der Mailverkehr mitgelesen, vor den Wohnorten wurden Kameras installiert etcetera. Nach 16 Monaten Schnüffelei gab es allerdings keinerlei Hinweise auf konspirative Aktivitäten. Es konnte auch keine Verbindung zwischen uns und den italienischen Revolutionären hergestellt werden. Die Verhaftungen in Belgien im Juni waren für die Polizei eine
»Flucht nach vorn«: Sie hoffte, bei uns zu finden, was ihnen beim Spionieren verborgen geblieben war. Die Hausdurchsuchungen waren eine totale Schlappe.
Sie wurden länger festgehalten als die anderen. Warum?
Ich war zwei Monate eingesperrt, meine Genossinnen und Genossen einen. Das war die Folge meiner Vergangenheit. Ich war Angehöriger der Kämpfenden Kommunistischen Zellen (Cellules Communistes Combattantes, CCC), wofür ich 14 Jahre in Haft war. Außerdem erkannte der graphologische Experte meine Schrift in den Notizen auf der Rückseite der Fotos.
Vier Aktivisten sind nun angeklagt. Was wird ihnen vorgeworfen?
Die Klage lautet »Beteiligung an einer terroristischen Aktivität«. Es ist eine der ersten Anwendungen des Antiterrorismusgesetzes, das in Belgien auf Weisung der Europäischen Union erlassen worden ist. Die »terroristische Aktivität« hat keine Definition, sie muß sich nicht auf ein bestimmtes – erfolgtes oder geplantes – Attentat beziehen.
Dennoch wurden Sie freigelassen?
Wir sind wirklich überraschend schnell wieder rausgekommen. Das ist unüblich für Belgien. Dazu führten aus meiner Sicht drei Faktoren. Erstens die offensichtliche Schwäche der Anklage. Zweitens die sehr schnelle Entwicklung einer breiten und aktiven Solidaritätsbewegung. Drittens die Beunruhigung bürgerlich-demokratischer Kräfte über die neue Antiterrorismus-Gesetzgebung, und speziell über die drohende Kriminalisierung einfacher politischer Stellungnahmen. Diese Befürchtungen wurden bestätigt, weil die Behörden die Ermittlungen auf die legalen Aktivitäten der Roten Hilfe in Belgien richteten.
Diese drei Faktoren führten auch zu Widersprüchen auf der »anderen Seite«: Die Medien kritisierten die Justiz, Richter wandten sich gegen die Staatsanwaltschaft etc. Die Repression erzeugt so ihr Gegenteil und es entwickelt sich eine Dialektik, die für die progressiven und revolutionären Kräfte von Vorteil sein kann. Bis jetzt hat die Klassenjustiz in Belgien durch die Verhaftungen mehr verloren als die Solidaritätsbewegung. Allerdings war es nur eine erste Schlacht: Wir sind nur »bedingt freigelassen«.
* Samstag, 11. Oktober, 16 Uhr, Clash, Gneisenaustr. 2a, Berlin-Kreuzberg: Solidaritätsveranstaltung mit einem Angeklagten des Berliner »mg«-Prozesses und einer Liveschaltung zu Bertrand Sassoye
* political-prisoners.net, rhi-sri.org