Asylsuchende in Schweizer Lager sind systematischer Gewalt ausgesetzt. Immer wieder kommt sie an die Öffentlichkeit.
(rabs) m vergangenen Februar publizierte die Basler Gruppe «Drei Rosen gegen Grenzen» eine Broschüre zu den Vorfällen rund um das Bundesasyllager Basel. Es ist nicht das erste Mal, dass das «Camp 50» genannte Lager beim Bässlergut negative Aufmerksamkeit erregt: Wie schon im Frühjahr 2020 geht es auch in der neuen Broschüre darum, dass Securitasangestellte massive Gewalt gegen Bewohner_innen des Lagers ausübten. Ähnliche Vorfälle waren schon vor einem Jahr aufgedeckt worden und fanden damals in der WoZ und in der SRF Rundschau weite Beachtung. Was aber offensichtlich nichts an den Verhältnissen im Lager änderte.
Das «Camp 50» ist eines der schweizweit sechs Bundesasylzentren «mit Verfahrensfunktion». Das heisst, hier finden auch Befragungen zum Asylverfahren statt, formell gibt es Rechtsvertretungen und Dolmetscher_innen, die direkt im Lager arbeiten. Die Asylsuchenden im Verfahren haben keine Wahl, sie müssen im ihnen zugeteilten Lager wohnen.
Privatisierte Internierung
Verantwortlich für das «Camp 50» ist die Firma ORS Service AG mit Sitz in Zürich. Die seit 1992 existierende Firma ist fester Bestandteil des Migrationsregimes. Sie betreiben sieben Bundeslager (davon drei mit Verfahrensfunktion) und dreissig weitere Unterkünfte für Asylsuchende in der Schweiz, seit einigen Jahren sind sie auch in Österreich, Deutschland, Italien und Spanien tätig. Mit diesen Aufträgen verdienen sie Millionen aus der Staatskasse: 2019 gaben sie für die deutschsprachigen Länder einen Umsatz von 157 Millionen an.
Für die «Sicherheit» im Lager ist die Firma Securitas AG verantwortlich. Sie ist direkt vom SEM angestellt. Im «Camp 50» sind es die Securitas-Leute, die direkt gegen die Bewohnenden gewalttätig werden. Konsequenzen scheinen sie keine zu befürchten zu haben. Der gewalttätigste der Securitas-Leute, der bereits in den Berichten vom Frühjahr 2020 angeprangert wurde und für einige Zeit aus dem Lager verschwunden war, ist seit November 2020 wieder da. Direkt beim Eingang zum Camp gibt es einen Bereich, der nicht von den Kameras erfasst wird. Dort sollen die Securitas besonders gern Auseinandersetzungen anzetteln.
Hauptsache billig
Selbstverständlich weist die ORS die Verantwortung für Übergriffe weit von sich, auch das Staatssekretariat für (oder eher gegen) Migration (SEM), die politisch verantwortliche Stelle, relativiert die Vorwürfe und streitet ein Versagen des Systems ab. Doch egal welche Partei im Bundesrat die Führung des Justizdepartement hatte (CVP, SVP, BDP, SP und jetzt FDP), stets ging es nur um eine Verwaltung und Verwahrung der Bewohner_innen. Ihre Internierung in Lagern wurde zum Geschäft gemacht, und dieses Geschäft wurde an Private ausgelagert.
Mantraartig wird ausserdem das immer gleiche neoliberale Argument für die Privatisierung wiederholt, dass «der Markt» das am besten und vor allem am billigsten lösen könne. Ausschlaggebend für einen solchen Auftrag ist ein billiger Preis. Die Qualität des Angebots für die Leute, die dann gezwungen werden in den Unterkünften zu wohnen, spielt dabei keine Rolle. Mit der Privatisierung kann aber auch die politische Verantwortung verschleiert werden. So schoben sich nach den erhobenen Vorwürfen aus dem Basler Camp 50 das SEM und die ORS gegenseitig die Verantwortung zu – um am Schluss gar nichts zu unternehmen, was mindestens die übelsten Exzesse hätte unterbinden können. Und die Securitas, wo die prügelnden Leute angestellt sind, konnte sich dazu ausschweigen.
Unter der Privatisierung leiden am meisten die Bewohner_innen der Lager. Wenig Platz, schlechtes Essen, zum Teil unterirdische Unterkünfte, ständige Kontrollen: nur normal, dass sich Bewohner_innen wehren. Entsprechend ist wohl auch das Ziel der systematisch eingesetzten Gewalt, die Menschen in Schach zu halten und mögliche Proteste zu verhindern.
Systemisches Problem
Bei der Gewalttätigkeit der Securitas-Leute geht es nicht um «Einzelfälle», es ist ein systemisches Problem. Sie entsteht durch gesellschaftliche Konstanten wie dem Rassismus und dem steten Druck durch das kapitalistische System auf die Arbeitenden. Unter diesem Druck stehen auch Menschen, die für die Securitas arbeiten. Auch wenn sie sich gegenüber den migrierten Menschen in einer Machtposition befinden, werden sie doch selber auch ausgebeutet. Es wird von ihnen verlangt, eine «Ordnung» aufrecht zu erhalten, die durch die einengenden Verhältnisse und die – politisch gewollten – Umstände praktisch unmöglich ist. Der Grund, dass bei einer solchen Aufgabe einige auf Gewalt zurückgreifen, ist weniger in ihrer politischen Gesinnung oder ihrer Bösartigkeit zu suchen, sondern zu einem grossen Teil im System, in dem sie arbeiten. So wurde eine als nett und hilfsbereit beschriebene Securitas-Mitarbeiterin bereits nach einem Monat wieder aus dem «Camp 50» weg verlegt. Der Mangel an Ausbildung, Personal und entsprechender Infrastruktur fördert Rassismus und Gewalt. Gerade die ORS AG ist, selbst im Vergleich zu anderen ähnlichen privaten oder halbprivaten Firmen im Asylbusiness bekannt dafür, auch schlecht oder gar nicht ausgebildetes Personal anzustellen. Die konsequente und systematische Internierung von Asylsuchenden ist an sich bereits nicht menschenwürdig. Wird diese Internierung zum Geschäft, verschlimmert sich die Situation nochmal. Der Staat kann die eigene Verantwortung verschleiern. Gleichzeitig tut sich für seine Exponent_innen im Asylbusiness ein lukratives Betätigungsfeld auf. Die ehemalige Bundesrätin und Vorsteherin des Justizdepartement Ruth Metzler ist Beraterin der ORS.
aus: aufbau 105