Stellungnahme des Solidaritätskomitees Basel und Zürich (30.03.09)
Allpack-Prozess: Angriff auf das Streikrecht
Die Justizposse von Liestal
Am Morgen des 25. März 2009 begann in Liestal der Prozess gegen 22 Personen, die am Streik in der Allpack von Ende 2003 beteiligt waren. Drei Tage hat die basellandschaftliche Justiz gebraucht, um am Schluss einzelne Freisprüche, teilweise Schuldsprüche und Strafen zu fällen, die wegen der langen Dauer des Verfahrens nicht mehr vollzogen werden können. Dies vor der Kulisse eines grotesk anmutenden Sicherheitsdispositivs, das den Eindruck erweckte, es würden hier gefährliche Verbrecher abgeurteilt.
Eine Gerichtsverhandlung, in welcher der Herr Staatsanwalt sich befleissigt hat, nicht nur die Angeklagten eines vermeintlichen Vergehens zu überführen, sondern selbst die erpresserischen Änderungskündigungen des Allpack-Besitzers Scheitlin zu begründen und zu rechtfertigen. Dafür hat ihm dessen Anwalt mit den Worten gedankt, er habe ihm einen Teil seiner Arbeit abgenommen. Ist der Herr Staatsanwalt eigentlich Anwalt des Staates – wie es der Name vermuten liesse – oder Anwalt des Unternehmers Scheitlin? Oder ist es gar ein und dasselbe? Der Prozess in Liestal hat unmissverständlich klar gemacht: Der Staat und seine Justiz stehen keineswegs über den gesellschaftlichen Klassen, sondern sind dazu da, die Interessen der Unternehmer durchzusetzen, und zwar wenn nötig mit Gewalt!
Im Gegensatz zum Staatsanwalt hat der Strafrichter versucht, den Schein von Unabhängigkeit zu wahren und nicht mit Kritik nach allen Seiten gespart. Ein scheinheiliger Apostel der freiheitlichen Grundrechte, die zu schützen er vorgibt! Ein Anwalt sowohl eines flügellahmen „Streikrechts“, als vor allem auch der „Arbeitswilligen“, deren Grundrecht zu arbeiten und frei darüber zu entscheiden in seinen Augen die Streikenden und ihre UnterstützerInnen mit ihrer Blockade verletzt hätten. Als gäbe es bei Lohnabhängigen, die hin- und hergerissen sind zwischen der Solidarität mit den streikenden ArbeitskollegInnen und der Angst vor dem Arbeitgeber und seinen Drohungen, der Angst die Arbeitsstelle zu verlieren, als gäbe es hier eine freie Wahl, frei von Druckversuchen! Und dies ausgerechnet in einem Arbeitskonflikt, der damit begonnen hat, dass der Unternehmer seine Lohnsklaven mit Änderungskündigungen dazu nötigen wollte, massiv schlechtere Arbeitsbedingungen hinzunehmen!
Der Richter hat so getan, als würde er sich für Arbeitswillige und ihre Grundrechte starkmachen – allerdings nur für jene „Arbeitswilligen“, die dazu missbraucht werden, einen Streik zu brechen! Oder hat sich die Justiz je für all die Arbeitswilligen eingesetzt, die gerne arbeiten würden und nicht mehr dürfen, weil die Firma auf ihrem Buckel Kosten sparen will? Wie beispielsweise bei Clariant, wo die ArbeiterInnen nur ein „Kostenfaktor“ sind, wo Hunderte von Stellen abgebaut worden sind und weiter abgebaut werden, weil die Manager beschlossen haben, dass künftig die gleichen Mengen mit weniger Leuten produziert werden müssen. Und wo bleibt die Justiz bei all den älteren ArbeiterInnen, die entlassen werden, weil jüngere MitarbeiterInnen angeblich weniger kosten und mehr Gewinn abwerfen? Wo bleibt die Justiz bei Betriebschliessungen, wenn die Produktion in Länder verlagert wird, wo die Arbeitskraft weniger kostet? Alle diese Arbeitswilligen schützt die Justiz nicht, sondern im Gegenteil jene, die nach Belieben Leute entlassen. So wie die Justiz auch die erpresserischen Änderungskündigungen des Allpack-Besitzers Scheitlin geschützt hat!
So heuchlerisch wie die richterliche Begründung, den „Arbeitswilligen“ sei mit der Menschenkette vor dem Allpack-Haupteingang „Gewalt“ angetan worden, so willkürlich ist auch das Urteil: 22 Menschen haben zur gleichen Zeit am gleichen Ort in einer kollektiven Aktion genau dasselbe getan. Vier von ihnen werden freigesprochen, die andern achtzehn verurteilt, teilweise wegen „Nötigung“, teilweise wegen „Hausfriedensbruch“, teilweise wegen beider Vergehen. Auf die haarspalterische Begründung des Richters soll hier nicht weiter eingegangen werden – dies wird Sache einer allfälligen Berufungsverhandlung sein. Ebensowenig besteht Anlass, sich über die scheinbar „milden Urteile“ zu freuen. Denn ganz offensichtlich geht es gar nicht um vermeintliche „Vergehen“ der Angeklagten. Letztere sind nur die Schachfiguren, die von der Justiz benützt werden, um gegeneinander und gegen das Streikrecht ausgespielt zu werden. Nicht sie sassen in Wirklichkeit auf der Anklagebank, sondern das Streikrecht selbst! Aus diesem Grund wäre es verhängnisvoll, wegen der geringfügigen Strafen (die nicht einmal vollzogen werden) gegen das skandalöse Urteil keine Berufung einzulegen! Zumal im Hintergrund noch immer Scheitlins Schadenersatzforderung in der Höhe von rund einer Million Franken (inkl. Zinsen) droht!
Trotz einzelner Freisprüche kann dieses Urteil nicht als Teilsieg gewertet werden. Das einzig Erfreuliche an der Sache ist die Mobilisierung solidarischer Menschen – jeweils gegen Hundert haben während drei Tagen an den Protestaktionen teilgenommen – und die öffentliche Aufmerksamkeit für diesen Strafprozess. In diesem Zusammenhang soll auch darauf hingewiesen werden, dass dass die Präsenz der Unia eine Mobilisierung der Basis nicht zu ersetzen vermag. Immerhin einen Aufruf zur Beteilung an den Protestaktionen rund um diesen politischen Prozess, wenigstens in jenem bescheidenen Rahmen, den die vorhandenen gewerkschaftlichen Strukturen überhaupt noch erlauben, das hätten wir seitens der mitgliederstärksten Schweizer Gewerkschaft eigentlich erwartet. Dass nicht einmal das geschehen ist, unterstreicht die Notwendigkeit eines solidarischen Netzwerks, das nicht an diese Strukturen gebunden ist.
Mit ihrer Beteiligung an der Protestdemonstration vom Donnerstagabend haben die Arbeiter von Clariant deutlich gemacht, dass der Allpack-Prozess alle Lohnabhängigen etwas angeht, die sich gemeinsam gegen den Angriff der Unternehmer auf ihre Lebensbedingungen zur Wehr setzen. Es war genau ein Monat vor dem Prozessbeginn, als der Clariant-Werksleiter die Polizei holte, bloss weil sie in der Werkskantine Unterschriften sammelten für ihre bescheidene Forderung: Kurzarbeit statt Entlassungen. Genau gleich erging es Unia-GewerkschafterInnen, die bei der Eröffnung der Lidl-Filialen in Arbon und Weinfelden Flugblätter verteilten. Was von den Unternehmern, ihrer Anwälte und Staatsanwälte als „Hausfriedensbruch“ bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit nichts anderes die Ausübung verfassungsmässig garantierter Freiheitsrechte zur Verteidigung elementarster Arbeitnehmerinteressen.
Die Absicht der Unternehmer, ihrer Anwälte, Staatsanwälte und Richter ist klar: Jeder Widerstand, jedes kollektive Aufmucken wird bestenfalls knapp geduldet und soll möglichst im Keim erstickt werden. In die gleiche Richtung zielten am Prozess in Liestal auch die völlig unverhältnismässigen Sicherheitsvorkehrungen: Die Angeklagten, ihre Freunde und UnterstützerInnen sollten in den Augen der Öffentlichkeit in die Nähe gefährlicher Gewalttäter gerückt werden. Mit der Kriminalisierung des Streiks und anderer gewerkschaftlicher Kampfmittel zur Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen wird der Boden vorbereitet, um die Ausübung der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit generell von einer „behördlichen Bewilligung“ abhängig zu machen. Die Gewerkschaften täten gut daran, vor einer solchen Entwicklung nicht die Augen zu verschliessen und sich auf ihre ureigensten Aufgaben als Selbsthilfe- und Kampforganisation der Arbeiterinnen und Arbeiter zu besinnen!