«Magnet Obertor»: Aufwertung blüht auch der neuen Altstadt

Artikel aus dem Extrablatt zur Stadtaufwertung in Winterthur (August 2023)

Schon seit einigen Jahren ist das Areal Obertor ständiges Thema in der Winterthurer Gemeindepolitik. Seit bekannt wurde, dass die Polizei vom Obertor ins Teuchelweiher-Areal ziehen wird, beschäftigt Winterthur was mit dem über 6000 Quadratmeter grossem Areal in der Altstadt geschieht.

Seit vielen Jahren ist immer wieder davon die Rede, dass hoffentlich ein «Wellnesspalast» entsteht. Mittlerweile hat die Bain Bleu AG den Zuschlag bekommen ein Bad mit Wellnessbereich an der Liegenschaft in der Badgasse 6 zu betreiben. Doch in welchem Verhältnis steht das Areal Obertor zur städtischen Standortpolitik und was werden die konkreten Auswirkungen der Umgestaltung am Obertor für die Bewohner_innen der Altstadt sein?

Schon seit vielen Jahren ist der Umzug der städtischen Behörden in den «Superblock» nach Töss und schlussendlich der Stadtpolizei zum «Teuchelweiher» geplant. Mindestens ebenso lange plant die Stadt die kommende Nutzung des Areals. Bereits im November 2011 wurde eine Studie zur «Nutzungsstruktur der Winterthurer Altstadt» erstellt. Ein zentrales Thema dieser Studie war die Umnutzung des Obertor-Areals und die Steigerung der Attraktivität der Winterthurer Altstadt.1 Was erst mal vielversprechend klingt, entpuppt sich allerdings keinesfalls als attraktiv für alle Bewohner_innen. Die Stadt Winterthur sorgt sich seit dem Niedergang ihrer grossen Industrieunternehmungen Sulzer und Rieter und dem damit einhergehenden Verlust des Grossteils der Arbeitsplätze um ihre Steuereinnahmen. Das übergeordnete Ziel der Standortpolitik ist es wie sie auch offen zugibt, die Steuereinnahmen pro Kopf zu steigern. Dafür brauche es gemäss der Stadt: «mehr Wohnungen im hohen Preissegment, um Personen mit hohem Einkommen entsprechenden Wohnraum bieten zu können».2 Sie gibt also offen zu, dass sie in erster Linie Wohnungen für Reiche bauen will. Ähnliches zeigt sich, wenn vom «vielfältigen und ausgewogenen Wohnraumangebot» die Rede ist. Da die Stadt absurderweise davon ausgeht, dass in Winterthur viel günstiger Wohnraum vorhanden ist, versteht sie unter ausgewogenem Angebot, dass es mehr Wohnraum im hohen Preissegment braucht.3 Konkret heisst das, dass mehr Wohnungen entstehen sollen, die über 2500 Franken kosten.4 Dies grenzt an bewusster Irreführung der Bewohner_innen. Denn intuitiv versteht man unter ausgewogenem Angebot an Wohnraum selbstverständlich die Förderung von günstigem Wohnraum.

Die bereits erwähnte Studie Nutzungsstruktur Altstadt von 2011 zeigt dann auch, wie die Stadt die Steigerung ihrer Steuereinnahmen erreichen will und was das mit dem Areal Obertor zu tun hat. Die Stadt möchte das Obertor analog zum Untertor ausgestalten. Sie möchte die Frequentierung der oberen Altstadt steigern und sieht dafür ein Magnet ähnlich dem «Magnet Untertor», dem «Magnet Manor» oder dem «Magnet Archhöfe» nötig. Kurz gesagt: Die Stadt möchte ein Flaggschiff, dass Leute anzieht und somit auch zu mehr Menschen die in den Läden der oberen Altstadt shoppen führt. Schlussendlich soll dies wiederum zu mehr Geschäften führen. Dieses Flaggschiff oder Magnet soll der geplante Wellnesspalast Badgasse darstellen. Und dafür wird die Liegenschaft an der Badgasse 6 nun an eine entsprechende Betreiberin im Baurecht abgegeben.

Erklärtes Ziel dieser seit 2011 geplanten Umgestaltung ist also eine Aufwertung der oberen Altstadt in Gang zu setzen. Dementsprechend ist auch der Abschnitt mit der Absichtserklärung mehr teuren Wohnraum zur Verfügung zu stellen mit einem Bild der Neustadtgasse versehen.5 Es ist also klar, was der Neustadtgasse blühen wird: teurere Mieten, mehr Geschäfte und mehr Shopper.

Ganz so einfach liessen sich die Pläne der Stadt allerdings nicht umsetzen. AL, SP, Grüne, der Mieter_innenverband und der Bewohner_innenverein 8400 (Quartierverein der Altstadt) lancierten die städtische Initiative Obertor: Boden behalten – Winterthur gestalten. Diese forderte, das Areal in städtischem Besitz zu halten, sowie rund 50% der Flächen in Kostenmiete anzubieten. Zusätzlich sollte die Nutzung des Areal vollumfänglich einer «Gemeinnützlichkeit» zukommen. Die Initiative enthielt definitiv eine andere Auslegung von «ausgewogenem Angebot» als die Stadt in pflegte. Die Stadt unterbreitete darauf ein Gegenvorschlag der einige der Forderungen der Initiantinnen aufnahm und andere ablehnte. So sollte ein Drittel der Fläche in Kostenmiete abgegeben werde, wobei das Areal inklusive der Fortuna-Liegenschaften gefasst wurde und auch die Forderung, dass die Stadt den Boden behalten soll, wurde aufgenommen. Die anderen Forderungen hingegen lehnte der Stadtrat ab, da diese den Handlungsspielraum zu stark einengen würde. Die Initiantinnen zogen die Initiative darauf zurück, da sie wichtige Forderungen für erfüllt befanden. Dieser Gegenvorschlag sollte nun mit einem öffentlichen Gestaltungsplan umgesetzt werden. Im Sommer 2022 befand der Kanton Zürich das Instrument des Gestaltungsplans allerdings für ungeeignet und pfiff die Stadt zurück. Die Vorschreibung von Kostenmiete ginge über die Kompetenzen eines Gestaltungsplan hinaus. Kurz gesagt: Es geht nicht, dass man vorschreibt, dass kein Gewinn gemacht werden darf. An den Zielen des Gegenvorschlags wollte die Stadt allerdings festhalten und versucht diese nun auf dem Weg von Einzelprojekten zu erreichen. Für die Umsetzung der Forderung nach «günstigen Mieten» verantwortlich ist nun die Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen aus Winterthur (Gesewo). Sie erhält den Zuschlag für Nutzung der Liegenschaften im Innenhof (Obertor 15&17a) und will preiswerte 2.5 bis 4-Zimmerwohnungen sowie Cluster-Wohnraum anbieten. Die Gesewo hofft, dass schon im Jahr 2025 erste Genossenschafter_innen im Obertor einziehen.

Ebenfalls 2025 soll gegenüber des Areals das seit 1997 besetze Haus an der General Guisan Strasse 31 (Gisi) geräumt werden. Die seit kurzem bekannt gewordenen Räumungspläne der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG), die auch zahlreiche andere Liegenschaften in der Stadt saniert und aufwertet, passen da natürlich gut ins Gesamtbild. Auch wenn die Stadt einige Zugeständnisse bei der Gestaltung des Areals machen musste, wird sich die neue Altstadt ganz in ihrem ursprünglich geplanten Sinn verändern.

Diese von der Stadt unter Einbezug verschiedener privater geplante Umnutzung wird schlussendlich für alle Bewohner_innen der Altstadt grosse Auswirkungen haben. Durch die Errichtung von Wohnungen im Hochpreissegment werden ortsübliche Mieten in der oberen Altstadt ansteigen. Konkret heisst dies, dass mit einem Neubezug einer Wohnung eine saftige Mietzinserhöhung einhergeht. Diese werden rechtlich mit Verweis auf die ortsübliche Miete zulässig sein. Gegen diese Tendenz wird auch die Abgabe eines Anteils an Wohnraum in Kostenmiete durch die Gesewo nichts ändern. Mittel- bis langfristig wird dann immer weniger günstiger Wohnraum in der Winterthurer Altstadt zur Verfügung stehen. Und auch Wohnungen im mittel bis hohen Preissegment werden noch teurer. Leute mit geringeren und mittleren Einkommen werden dann je länger desto mehr an die Ränder der Stadt gedrängt.

1 Vgl.: Studie Nutzungsstruktur Altstadt Winterthur, November 2011, S. 29. Einsehbar unter: https://stadt.winterthur.ch/themen/leben-in-winterthur/planen-und-bauen/gebiets-und-arealentwicklung/testplanung-obertorplus

2 «Städtische Wohnpolitik: Zwischenbilanz und zukünftige Ausrichtung», September 2017, S. 10. Einsehbar unter:
https://stadt.winterthur.ch/themen/leben-in-winterthur/wohnen-und-umzug/staedtische-wohnungspolitik

3 «Städtische Wohnpolitik: Zwischenbilanz und zukünftige Ausrichtung», September 2017, S. 11. Einsehbar unter:
https://stadt.winterthur.ch/themen/leben-in-winterthur/wohnen-und-umzug/staedtische-wohnungspolitik

4 «Städtische Wohnpolitik: Zwischenbilanz und zukünftige Ausrichtung», September 2017, S. 12. Einsehbar unter:
https://stadt.winterthur.ch/themen/leben-in-winterthur/wohnen-und-umzug/staedtische-wohnungspolitik

5 Siehe: «Städtische Wohnpolitik: Zwischenbilanz und zukünftige Ausrichtung», September 2017, S. 11. Einsehbar unter:
https://stadt.winterthur.ch/themen/leben-in-winterthur/wohnen-und-umzug/staedtische-wohnungspolitik